Kunstkritik in Zeiten von Populismen und Nationalismen
Unter dem Thema „Kunstkritik in Zeiten von Populismen und Nationalismen“ widmet sich unser diesjähriger Kongress einer kritischen Auseinandersetzung mit Kunst als einer zwar sozial eingebetteten, jedoch ästhetisch freien Ausdrucksform.
Populistische Tendenzen, gleich welcher Couleur, prägen die zeitgenössische Medienlandschaft ebenso wie die Kunst- und Kulturkritik. Diskussionen über die Entfernung von umstrittenen Kunstwerken oder das Einsickern der #Me Too-Debatte in den Kunstdiskurs nehmen sich ihren Raum in der Berichterstattung. Ethische Bewertungskriterien werden ins Feld geführt, wenn Künstler:innen mit ihren Werken und Aktionen bewusst provozierend oder scheinbar naiv kulturelle Aneignungen vollziehen. Doch wo und wie verläuft die Grenze zur Beschneidung künstlerischer Ausdrucksfreiheit?
Kunst ist das Spiegelbild unserer Gesellschaft mit all ihren Spannungen und Irrungen. Sie reflektiert die aktuellen Diskussionen, derzeit besonders über die Genderproblematik, das Klima, den Rassismus und Post-Kolonialismus, provokativ oder bejahend. An politischen Aktivismus hat uns die Kunstszene seit Beginn des 21. Jahrhunderts durchaus gewöhnt: Christoph Schlingensief, die Occupy-Bewegung, das Zentrum für Politische Schönheit oder Peng!, alle fordern nicht nur zum Nachdenken auf, sondern auch zum Handeln. Ihnen könnte der Gebrauch populistischer Methoden avant la lettre attestiert werden. Doch nicht diese grenzsprengenden Quergeister, die ein neues ethisches Leitbild der Gesellschaft fordern – was uns schließlich alle beschäftigt – stehen im Focus der gegenwärtigen Kunstkritik, sondern Bilder, die gegen ethische Werte verstoßen. Im Trubel der Identitätsfindungen werden plötzlich ethische Ansprüche – ob zu Recht oder Unrecht – an historische wie zeitgenössische Kunstwerke gestellt. Gefordert wird eine revidierte Lektüre auch älterer, schon lange zum festen Kanon der Kunstgeschichte gehörender Werke, als wären wir gerade dabei, einen neuen Bildersturm zu erleben oder einen neuen Index verbotener Werke zu schreiben.
Welchen Einfluss hat es auf die Kunstkritik, wenn gesinnungsstiftende moralische Werte in die Beurteilung einfließen, die per se die Autonomie der Kunst einschränken? Wie soll sie abwägen im Amalgam von gegensätzlichen Bewertungskriterien? Wie ist es um die lang erkämpfte Freiheit der Kunst bestellt, die im deutschen Grundgesetz verankert ist, wenn aus verschiedenen Seiten die Abhängung von Kunstwerken und ja sogar ihre Zerstörung gefordert werden? Hat möglicherweise die Kunstkritik selbst einen Anteil an populistischen Entscheidungen beim Umgang mit Kunst, indem sie gelegentlich dabei versagt, Bewertungskriterien zum Schutz der Werke zu definieren, die beispielsweise im Kontext ihrer historischen Entstehung liegen?
Selbstkritisch gilt es zu fragen, ob es die Kunstkritik noch wagt, differenzierte Orientierungsmerkmale anzubieten. Der Durchbruch der Social Media hat schwerwiegende Folgen auch für das Berufsbild des Kunstkritikers. Allzu sehr haben sich Leser weltweit an kurze, aktuelle und schnell zu konsumierende Texte gewöhnt. Vor dem Hintergrund der elektronischen Distribution hält der Auflagenschwund gedruckter Medien weiter dramatisch an, was Verlage in immer stärkere Abhängigkeit vom Anzeigengeschäft und von einem vermeintlichen Zeitgeist knapper Inhalte bringt. Anzeigen werden im Kulturbereich zu einem Gutteil von Museen geschaltet, die sich als Gegenleistung wohl eine eher positive Berichterstattung erhofft.
Verleger legen daher – in allen Sparten – immer weniger Wert auf anspruchsvolle Feuilletons und kritische Kulturberichte, mit der Folge, dass der Kulturjournalismus seit Jahren ums schiere Überleben kämpft. Nur wenige Journalisten haben heute noch das Privileg einer soliden Festanstellung – als Garant für Meinungsfreiheit. Die Freischaffenden sind gezwungen, an Akademien zu lehren, als Kuratoren oder Autoren für Museumskataloge zu arbeiten. Das wiederum beeinträchtigt sehr wesentlich eine freie, kritische Berichterstattung.
Auch die AICA ist von dieser Entwicklung betroffen: Es gibt nur noch wenige wirkliche Kulturredakteure in unseren Reihen. Unsere Aufgabe ist es daher, gemeinsam den Dialog einzuleiten, die Probleme mit Nachdruck zu benennen und für eine freie Kunstkritik ins Feld zu ziehen.