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2023

Gabriele Muschter ist gestorben

Wie wir erfahren haben, ist Gabriele Muschter am 10. September in Cottbus gestorben, die vor allem in den 1990er Jahren einer der prägenden Köpfe der kulturellen und kulturpolitischen Transformation Ostdeutschlands war. Muschter war zu Beginn ihrer Laufbahn als Kunstwissenschaftlerin eine der prägenden Figuren der unangepassten Dresdner Kunstszene in den 1980er Jahren, als sie die dortige Galerie Mitte leitete. Sie war dann 1990 Staatssekretärin für Kultur in der Modrow-Regierung und beriet anschließend die gesamtdeutsche Bundesregierung und zahlreiche Stiftungen bei der Transformation des ostdeutschen Kulturlebens. In Berlin war sie bekannt als Mitbegründerin der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg, eines multifunktionalen Kulturzentrums auf einem alten großen Brauergelände, mit Literaturhaus, Ausstellungsräumen, Kino, Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten und Tanzclubs. Bis Mitte der Nullerjahre hatte sie zahlreiche Funktionen als kulturpolitische Beraterin in politischen und Wirtschaftsorganisationen, die eine neue kulturelle Infrastruktur vor allem in den ostdeutschen Großstädten entwickelten. Sie war in dieser Tätigkeit gerade aus heutiger Sicht wichtig als Stimme einer ostdeutschen kulturellen Identität, die, wie sie selbst sagte, immer mehr an Gewicht verlor. Ziuletzt nam sie aktiv teil an der AICA Tagung Kunstkritik in Ost und West - eine deutsch-deutsche Geschichte teil, wo sie nochmals auf mangelnde Akzeptanz und Anerkennung der ostdeutschen Kulturszene hinwies. Insofern ist sie eine Person der Zeitgeschichte, auch wenn sie eher hinter den Kulissen gewirkt hat.

AICA Deutschland trauert um Jürgen Claus 1935-2023

Jürgen Claus, Im Fall meines Todes
Jürgen Claus, Im Fall meines Todes

Der Künstler und Autor Jürgen Claus ist am 5. September 2023 im Alter von 88 Jahren in Aachen verstorben. Geboren 1935 in Berlin, studierte er zunächst Theaterwissenschaften und gehörte seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zu den weltweiten Pionieren einer klimabezogenen Environmental Art. In diese Zeit fallen seine frühen Projekte mit Submarinen Strukturen, als er etwa im Wasser versenkte, geometrische Farbkörper nutzte, um die Wandlung ihrer Wahrnehmung im fluiden Medium zu beobachten. Mit einem Center Submarin, einer als Forschungs- und audiovisuelles Kunstzentrum konzipierten Unterwasserbasis, plante Claus in der Folge eine für seine Arbeit so charakteristische Mischung von künstlerischer Forschung und ökologischer Erfahrungsstruktur. Auf der Weltausstellung des Meeres im japanischen Okinawa realisierte er die Idee des Aqua Center als Unterwassergarten mit filmischen und performativen Elementen.

Die Beschäftigung mit dem Wasser und seinem Einfluss auf die Lichtwahrnehmung führte Jürgen Claus zur Auseinandersetzung mit der Sonne als Licht und Energiequelle und einer klimabezogenen solaren Kunst, deren Idee er seit Mitte der Achtzigerjahre gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Nora Claus, in zahlreichen Publikationen und Ausstellungen entwickelte. Mit Nora Claus führte er seit Ende der Achtzigerjahre auch das Centre Overoth, ein Forschungs- und Ausstellungsort für biosphärische Kunst im belgischen Baelen. Claus wirkte unter anderem als Fellow am MIT Center for Advanced Visual Studies in Cambridge/Mass., das er als Vorbild für das von ihm später mitbegründete Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe betrachtete. Von 1991 bis 2000 war er Professor für Medienkunst an der von ihm mitbegründeten Hochschule für Kunst und Medien in Köln.
Viele Jahrzehnte betätigte er sich auch als Autor und Kunstkritiker. Sein letztes Buch The Ocean as a Creative Experience: Architecture, Art, and Music erschien erst im April dieses Jahres. Der AICA gehörte er, auch hier hoch engagiert, mehr als vier Jahrzehnte an.
Die AICA Deutschland trauert um Jürgen Claus als einen der großen zukunftsweisenden Künstler und Autoren in Deutschland.

AICA Deutschland
Der Vorstand
Carsten Probst

Dellbrügge & de Moll zu Thomas Wullffen

Getrieben von intellektueller Neugier und fasziniert von Systemen und ihren inhärenten Regelwerken hätte Thomas Wulffen – wäre er bis Ende 2022 gesund geblieben – gut zur Million der Nutzer gehören können, die sich in den ersten fünf Tagen nach Veröffentlichung bei ChatGPT anmeldeten. Um die künstliche Intelligenz zu testen, hätte er sich mit dem Chatbot daran machen können, seinen eigenen Nachruf zu verfassen. Wäre die KI in der Lage, ein stringentes Narrativ zu generieren? Gelänge eine Würdigung seines unkonventionellen Werdegangs, des Gleitens zwischen den Sphären von Kunstkritik und Kunstpraxis? Würde die Terminologie der Gravität des Anlasses gerecht werden? Und wie viele plausible Versionen seiner selbst würden generiert werden können?
Als wir von Thomas Tod erfuhren, nahmen wir die vier Ausgaben der "below papers" zur Hand, die wir 1993/94 im Vierteljahresrhythmus mit ihm zusammen herausbrachten. Die Bindung der ersten Ausgabe ist inzwischen so spröde, dass sie beim Aufblättern bricht. Ursprünglich hatte Thomas gesagt: Ich möchte nur ein einziges Exemplar machen. Und nur für mich selbst. Es kam anders. Aus dem Abstand von 30 Jahren lesen wir seinen Text „Agent im Zwielicht“, der als Fortsetzungsgeschichte konzipiert war, aber nach der zweiten Folge abbricht. In dem Szenario, das Thomas hier entwirft, erkennen wir seine Denk- und Arbeitsweise. Deshalb haben wir sie nochmal abgetippt.

Dellbrügge & de Moll

Agent im Zwielicht [59 KB]
von Thomas Wulffen
erschienen in below papers 1, Fiktion, 1993 und below papers 2, Internationale Strategien, 1994

Petra Kipphoff ist gestorben

Brief an Thomas Wulffen - Danièle Perrier

Lieber Thomas,

Bescheiden wie Du warst, bist Du am 5. Mai in Berlin Sang und Klanglos von uns gegangen. Wir trauern um Dich, vermissen Deine Betriebsamkeit mit und für die Künstler, für die Kunst, Deine stete Hinterfragung, wie Kunstkritik an das JETZT adaptiert werden könne und wie das Publikum auf der Entdeckungsreise der so vielfältigen Kunstarten mitgenommen werden kann. Du prägtest bereits in den 80er Jahren den Begriff „Betriebssystem Kunst“, was bei mir Assoziationen mit dem wunderbaren Film von Charlie Chaplin „Modern Times“ weckt, wo jede Drehung eines Rädchens die Bewegung des nächsten bedingt. Kunstproduktion, die sich mit dem Rad der Zeit wandelt, bedingt, dass auch Kritik sich den immer neuen Anforderungen anpasst und neuen Sichtweisen öffnet.

Wie sollte man Dich als AICA Mitglied anders ehren, als durch Einblicke in Deine Präsidentschaft (2008-2012). Du hast zahlreiche Treffen des Präsidiums organisiert und einige Mitgliederversammlungen geleitet. Dabei hast Du zum ersten Mal alle Meetings von Köln nach Berlin verlegt. Gepaart mit Deiner großen Begeisterungsfähigkeit konntest Du damit zahlreiche Kollegen und Kolleginnen der Hauptstadt zur aktiven Teilnahme motivieren.

Es war Deine Idee den 47. Internationalen AICA Kongress nach Berlin zu holen. In dieser Stadt, wo so viele Kulturen aufeinanderprallen und im Feuer der Diskussionen um das Humboldt Forum, wolltest Du analysieren, wie die Idee Humboldts sich auf Kunstkritik umsetzen lässt und gabst gleich auch eine Richtung an:

„Indem das Humboldt-Forum den klassischen, abendländischen Blick auf die Welt durch außereuropäische Sichtweisen ergänzt, … neue Zugänge zu „Weltwissen“ und „Weltkulturen [öffnet]“.

Schon damals ging es Dir darum, der westlichen Zentriertheit der Kunstbetrachtung zu entsagen, zu begreifen, dass „Zeitgenössische Kunst [ ] unterschiedlichen lokalen Verwertungszusammenhängen unterliegt, … der Islam [ ] auch unhysterisch in den Blick [genommen werden] kann und die Diskussion um das Humboldtforum [ ] entprovinzialisiert werden [muss]“.

Auffallend ist bei Deinem Konzept, dass eine Frage die andere jagt. „Was wird in der Kunstkritik WIE wahrgenommen? …Worauf richtet sich die Wahrnehmung?... Was sind die blinden Flecken?...
Und :„WIE funktioniert diese Ausrichtung des Blicks? Da es nirgendwo noch normative Ästhetiken gibt (oder?) stellt sich die Frage nach den Regeln der Inclusion/Exclusion. Welche bildungsbedingten, interessemäßigen, medienerzwungenen, ökonomischen oder gesellschaftlich gesetzten Rahmenbedingungen bestimmen die Auswahl der Wahrnehmung – und wieso können sich diese Umstände gegen ein eigentlich prinzipiell individuelles, nicht-normatives ästhetisches Urteil durchsetzen?“

„ WOZU ist die wie auch immer geartete Ausgrenzung/Eingrenzung des Blicks (unabhängig vom eigentlichen Urteil) von Nutzen? Werden durch Nichtwahrnehmung benennbare Interessen bedient?“

Und zu den unterschiedlichen Kontextstrukturen, die Kunst und Kritik bedingen, erwähnst Du schon damals die neuen Nationalismen, die neuen Fundamentalismen, die auch im Bereich der Kunstszene sich entwickeln. Man glaubt das Jahr 2023 zu schreiben.

Wie schade, dass es Dir damals nicht gelungen ist, die nötige finanzielle Unterstützung zur Realisierung Deines brillanten Konzepts zu finden. Doch Dein Engagement für die AICA blieb ungeschmälert und so gelang es Dir, zusammen mit Dirk Schwarze, 2012 zumindest den Postkongress des in Zürich statt Berlin abgehaltenen Internationalen AICA Kongresses zur documenta nach Kassel zu holen. Alle berichten, dass es ein sehr schöner und entspannter Postkongress gewesen sei.

Die, die Dich gekannt haben, werden Deine Liebenswürdigkeit nicht vergessen und die anderen werden auf die Saat Deines kritischen Denkens aufbauen.

Danièle Perrier

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