Jury: Danièle Perrier, Uta M. Reindl, Ludwig Seyfarth, Sabine Maria Schmidt
Die Auszeichnung „Museum des Jahres 2018“ der AICA Deutschland erhält das Ludwig Forum für internationale Kunst Aachen, 1970 als „Neue Galerie – Sammlung Ludwig“ gegründet. Das Haus beherbergt neben umfangreichen Beständen aus der Sammlung von Irene und Peter Ludwig auch ein bedeutendes Videoarchiv. Unter der aktuellen Leitung von Andreas Beitin fiel das Ludwig Forum vor allem durch gut präsentierte und recherchierte thematische Sonderausstellungen auf, die künstlerische Strömungen der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit in neuem Licht zeigen und dabei auch kulturelle und politische Kontexte veranschaulichen.
Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, die Auszeichnung der AICA Deutschland „Museum des Jahres 2018“ dem Ludwig Forum für Internationale Kunst zu übergeben, denn es verbindet mich eine lange persönliche Geschichte mit diesem Haus. Die Neue Galerie und ihren leidenschaftlichen Direktor, Wolfgang Becker, kannte ich schon aus Studienzeiten. Doch erst 1991, als ich den Aufbau des Ludwig Museum im Deutschherrenhaus in Koblenz übernahm, intensivierte sich der Kontakt zum frisch errichteten Ludwig Forum. Allein der Name war Programm: Denn während in Frankfurt Hans Hollein das gleichzeitig entstandene MMK als mittelalterliche Burg konzipierte, also als Museion, oder genauer gesagt, als ein Heiligtum für moderne und zeitgenössische Kunst, entstand hier in Aachen ein Forum, also ein Marktplatz, ein Ort der Volksversammlung und der Gerichtsbarkeit, wo über aktuelle Kunst verhandelt wurde. Denn die Ludwigs verstanden das Sammeln auch als politischen Akt, als Türöffner zu autoritären Regimen und als Instrument zur Verständigung der Völker. Wie zukunftsweisend! So trafen Ost- auf Westkunst, die Pop Art auf den Sozialistischen Realismus des gerade entdeckten Ostblocks. Ausstellungen wie Die Neuen Wilden prägten das Zeitgeschehen und präsentierten erstmals Werke, die in den verlotterten Häusern von Ost Berlin entstanden und auf einmal die Subkultur der Großstadt erneut thematisierten. Berlin war wieder in, wie in den 20er Jahren.
Immer wieder machten die Ausstellungen aus Aachen Furore, wühlten auf mit den provokativen Präsentationen der Gegenwart. Ich selbst erinnere mich besonders gut an die virulenten Diskussionen pro et contra Jeff Koons‘ Jeff and Ilona (Made in Heaven), eines der Kultobjekte des LUFO, die damals sogar die Fachwelt in Aufruhr brachte und sie bis heute spaltet. Diese einmalige Spontaneität verdankte man der Einstellung des Ehepaars Ludwig, das die Auffassung vertrat, dass Privatsammler, im Gegensatz zur öffentlichen Hand, das Recht zum Irrtum haben und somit ganz aktuelle Themen aufgreifen können, damals eine mutige und einzigartige Entscheidung.
Für Video, Film und Performance hatten die Ludwigs keine besondere Ader, und so ist es das alleinige Verdienst des Sammlungsdirektors, Wolfgang Becker, dass schon in den 70er Jahren Videoarbeiten von der Stadt angekauft wurden und das LUFO heute über eine hochkarätige Sammlung von rund 200 Videoarbeiten verfügt.
Eine reiche, diversifizierte Sammlung, eine beachtliche Videosammlung und der Geist eines Sammlers sind die Pfunde, mit denen die nachkommenden Direktoren zu wuchern haben.
Lassen Sie mich kurz erläutern, was in unseren Augen eine Auszeichnung verdient. Besonders hervorheben möchten wir die kluge Ausstellungsstrategie von Andreas Beitin und seines Kuratorenteams. Viele Ausstellungen nehmen den eigenen Fundus als Ausgangspunkt, um bestimmte Stilrichtungen zu erforschen und sie in neuem Licht zu sehen. So Die Erfindung der Neuen Wilden, die sich auf die namensgebende Ausstellung der 70er Jahre bezieht und diese junge, aus der Subkultur der Großstadt Berlin entstandene deutschen Bewegung mit ihrer Experimentierfreudigkeit wieder aus der Versenkung holt und bestens dokumentiert vorstellt. Für Pattern & Decoration, eine US-amerikanische Patchwork- und Dekorationsbewegung, die von Frauen dominiert wird und einen politisch-emanzipatorischen Anspruch erhebt, gilt dasselbe. Beide künstlerischen Bewegungen suchten den Ausweg aus der kopflastigen Konzeptkunst, beide vermochten damals mit ihren riesigen Leinwänden die Menschen in ihrem Bann zu ziehen. Und doch sind sie in Vergessenheit geraten. Es ist also ein großer Verdienst des Ludwig Forum, diese Stilrichtungen aus der Versenkung zu bergen und ihre historische Bedeutung hervorzuheben.
Andere Ausstellungen wie Flashes of the Future, die mein Kollege Bernhard Schulz auszeichnen wird, und auch Valdis Abolins – Wie Fluxus nach Aachen kam zeigen, wie sehr Kunst und Gesellschaft ineinander greifen, wie die Kunst ihre Thematik aus der Aktualität schöpft und wie Jahrzehnte später die Werke zu Zeitzeugen geworden sind.
LuForm Meets RECIPROCITY, das in Zusammenarbeit mit der gleichnamigen Triennale in Lüttich arbeitet wurde, befasst sich mit aktuellen Designfragen. Die derzeit gezeigte Ausstellung Lust auf Täuschung lädt das Publikum mit spielerischen Mitteln zur Auseinandersetzung mit einer Jahrtausende alten Strategie ein, der Vortäuschung falscher Tatsachen, und fordert zur Reflexion über Realität und Virtualität, ihrer oft unentwirrbaren Verquickung, ein brisantes Thema zur Zeit von Fake News.
Auch die Reihe Kinder-förderpreis Kunst, die Kinderarbeiten in den Focus nehmen und junge Menschen animieren, sich künstlerisch zu betätigen, passt ins Programm eines Forums. Sie animiert zum Mitmachen, die Eltern, sich damit zu befassen und ganz allgemein Kunst im Lebensalltag einzubinden, was eigentlich viele Künstler der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigte.
Videoarchiv 04: Die Belgier. Les images immatérielles bildet den Abschluss des fünfjährigen Forschungsrojektes, dessen Zweck es war, die Videobestände des Ludwig Forum aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven zu beleuchten und thematisch aufzuarbeiten. Hier haben wir einen Einzelfall, wo die Ausstellung nicht Auslöser der Recherchen ist, sondern das Resultat.
Spätestens hier wird klar, dass die Ausstellungen des Ludwig Forum das Ergebnis langer und intensiver Forschung sind. Durch sie werden die Bestände des Hauses immer wieder in andere künstlerische Kontexte eingebunden und unter veränderten Wahrnehmungsgegebenheiten neu interpretiert. Ausstellungen bilden die Essenz eines Museums. Sie sind temporäre Zeitzeugen, die nur durch die dokumentarische Aufarbeitung in Katalogen auf lange Zeit erhalten bleiben. Letztere haben also zwei Funktionen: begleitend zur Ausstellung übernehmen sie eine aufklärerische Bildungsfunktion für die Gesellschaft – an dieser Stelle würdigt die AICA, dass das 700-seitige Compendium zu Flashes of the Future für nur 7 Euro verkauft werden konnte. Dies verdankt sich der Förderung der Bundeszentrale für politische Bildung, die Andreas Beitin für diese Ausstellung als Partner zu gewinnen wusste. Chapeau. Kataloge sind darüber hinaus das einzige Mittel, die heutige Sicht auf Kunst, Beobachtungen und Interpretationen der Jetztzeit für die Zukunft zu archivieren. Durch sie erfahren wir, wie Kunst zu einem bestimmten Zeitpunkt verstanden wurde, wie sie wirkte und was sie bewirkte. Kataloge schreiben Geschichte und sind wertvolle Dokumente der Zeit.
Das gilt in der heutigen Zeit ebenso für Online-Katalogisierung, die für Video-, Film und Performance ohnedies besser geeignet ist als geschriebene Kataloge. So würdigt die AICA auch das fünfjährige Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Videobestände, die bereits unter der Vorgängerin von Herrn Beitin, Brigitte Franzen, dank der großzügigen Förderung der VolkswagenStiftung in Angriff genommen werden konnte. Heute können sämtliche Werke von 30 repräsentativen Künstlern des Ludwig Forum online gesichtet werden, derzeit die einzige Art und Weise diese medialen Arbeiten ansehen zu können.
Eine dritte Qualität der Museumsdirektion wollen wir würdigen. Jeder weiß, dass Kultur kostet. Oper, Philharmonien und Museen kosten Geld, viel Geld. Sie sind allerdings die Aushängeschilder eines Landes, einer Stadt, eines Volkes, Ausdruck der hochstehenden kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft, sie zeugen von deren geistigen, philosophischen, literarischen und bildnerischen Interessen. Und doch fehlt in den meisten Kassen das Geld. Deshalb würdigt die AICA auch die Überzeugungskraft der Direktoren, die es schaffen, außerordentlich hohe Drittmittel zu beschaffen. An dieser Stelle möchte ich auch dem Verein der Freunde des Ludwig Forum e. V. danken und der amtierenden Vorsitzenden, Frau Haendly, unser Beileid zum Verlust des vor kurzem verstorbenen, sehr aktiven Vorsitzenden, Ernst Höhler.
Ein hervorragendes Ausstellungsprogramm, exzellente Dokumentation, Kataloge und Online- Archive als Instrument des Geschichtsbewusstsein, Findigkeit im Erwerb von Drittmitteln und was noch?
Hier möchte ich noch eine Reihe von Tätigkeiten würdigen, die in der Öffentlichkeit kaum Erwähnung finden, obwohl sie für ein Museum von essentieller Bedeutung sind. Ich meine die Konservierung und Restaurierung der Werke, die gerade in der zeitgenössischen Kunst Konservatoren und Restauratoren vor schier unlösbare Aufgaben stellen. Was passiert z. B., wenn man ein Kamel von Nancy Graves restaurieren muss, einen Kiefer mit seinen Strohhalmen, Kreide und Blei, die Ecriture automatique eines Cy Twombly? Deshalb möchten wir unsere Auszeichnung auch dem Sammlungsteam verleihen, stellvertretend an Annette Lagler, stellvertretende Direktorin und Sammlungsleiterin, die die Sammlung wie ihre Westentasche kennt, und mit ihr den Restauratoren.
Text: Danièle Perrier