Jury: Gerd Korinthenberg, Danièle Perrier, Uta M. Reindl, Ellen Wagner
Mit dem Titel „Museum des Jahres“ würdigt die deutsche Sektion des Internationalen Kunstkritikerverbandes AICA ein Haus, dessen bewegte Historie sich mit dem Namen und lebensreformerischen Ansichten des Mäzens Karl Ernst Osthaus verbindet. Er eröffnete das Museum zunächst 1902 im westfälischen Hagen, nach seinem Tod ging die Sammlung schließlich 1922 nach Essen. Es entwickelte sich ein Museum der klassischen Moderne auf höchsten Niveau, dessen Sammlung nach dem gattungsübergreifenden Konzept von Osthaus reichhaltige naturwissenschaftliche, ethnologische und archäologische Exponate sowie heute auch das Deutsche Plakatmuseum umfasst. Nicht zuletzt befindet sich im Haus die wohl bedeutendste Fotosammlung Deutschlands mit 65 000 Fotografien.
Das Folkwang Museum ist eine Institution, die nach den immensen Verlusten durch die Kunst-Beschlagnahme der Nationalsozialisten und der Zerstörung im 2. Weltkrieg mit der Zeit erneut gewachsen ist: architektonisch 1960 mit einem Neubau, später einer Erweiterung und vor allem 2010 durch einen spektakulären Neubau von David Chipperfield Architects. Ankäufe, insbesondere unter dem früheren Folkwang-Direktor Paul Vogt, brachten nicht nur einige beschlagnahmte Expressionisten ins Haus zurück, sondern öffneten mit Werken vor allem des Abstrakten Expressionismus das Museum für die Nachkriegsmoderne. Wichtige Ankäufe der Gegenwart: Im Dezember war dies noch Max Pechsteins „Tänzer“ zur Weiterentwicklung der expressionistischen Bestände mit der Dr. Walter-Griese-Sammlung.
Es entstand und entsteht nicht allein architektonisch ein sich für die Stadt öffnendes Haus, das sich seit dem Amtsantritt von Peter Gorschlüter im vergangenen Jahr nicht als „Gegenwelt zur Aktualität“ (FAZ, 24. Juni 2019) begreift. Einladend ist die interaktive Installation, die jede Besucherbewegung direkt im Eingang groß und verzerrt reproduziert. Verlängert werden konnten die Zuwendungen der Krupp-Stiftung, die allen Besuchern einen freien Eintritt in die ständige Sammlung ermöglicht.
Zu den von Peter Gorschlüter gesetzten Akzenten gehört die Neuordnung der Sammlung unter dem durchaus programmatischen Titel „Neue Welten“: Anstelle der bisherigen chronologischen Ordnung der Werke tritt eine thematische, die den Besucher einlädt, in den 24 Sammlungsräumen nach Berührungspunkten zu suchen. Viele Werke der Moderne sind mit farblich markierten Angaben zur Provenienz versehen und zeigen, ob das Werk in puncto NS-Raub und der Eigentümerfrage unsicher ist oder ob Forschungsbedarf zu seiner Herkunft besteht. Dies ist keine Selbstverständlichkeit in deutschen Museen.
Zu erwähnen ist das gelungene Zusammenspiel von wissenschaftlich gut recherchierten Ausstellungen wie Der montierte Mensch mit thematisch ergänzenden Ausstellungen wie I was a robot, das ein weniger kunsthistorisch interessiertes Publikum ansprechen mag. Bemerkenswert ist eine entsprechend vielschichtige Vermittlungsarbeit durch Symposien und Vorträge sowie Aktionen für Jugendliche. In diesem Zusammenhang sollte die Kooperation des Museums mit einer historische wichtigen Ausbildungsstätte, mit der nahen Folkwang Universität der Künste, erwähnt sei. In dieses positive Bild passt die benutzerfreundliche Homepage, die in sechs Sprachen über Beschreibungen einzelner Kunstwerke hinaus auch Informationen zu verwandten Sujets des jeweiligen Künstlers und anderer Künstler bietet.
Text: Uta M. Reindl, 7. März 2020