Shortlist-Jury: Beatrice von Bismarck, Eckhart Gillen, Mona Schieren

Das 1967 eröffnete Brücke-Museum wird seit 2017 von Lisa Marei Schmidt geleitet. Sie hat das über viele Jahrzehnte in seine Spezialforschungen versponnene Museum, dessen Sammlung ursprünglich auf den Nachlass Karl Schmidt-Rottluffs zurückging, für das Magdalena Maria Moeller aber umfangreiche Erwerbungen tätigen konnte, weit geöffnet. Diese jüngste Öffnung erfolgte zum einen in Richtung des benachbarten Kunsthauses Dahlem, indem sie die strikte Abgrenzung beider Gelände beseitigte und damit einen gemeinsamen öffentlichen Raum schuf, der am Rand des Grunewaldes nunmehr fließend in den Skulpturenpark von Bernhard Heiliger übergeht. Ein gemeinsam genutztes Café im ehemaligen Staatsatelier von Arno Breker und ein Waldpavillon des Design-Kollektivs „Construct Lab“ ergänzen diese höchst verdichtete Topografie einer ambivalenten modernen Kunstgeschichte.

Lisa Marei Schmidt trat mit dem Auftrag an, das bisher bürgerliche Publikum in einem Alter von 70+ jünger und diverser zu machen, was ihr sehr gut gelungen ist. Auf den Sommerfesten zeigen sich die die Damen der Gesellschaft mit Studierenden. Auch der sehr konservative Freundeskreis hat sich verjüngt.

Der Kunstbegriff wurde weit über die historische Epoche des Expressionismus hinaus erweitert. Bereits bei der Gründung des Museums hat Schmidt-Rottluff einen Förderpreis für junge Künstler*innen gestiftet. Ein Schwerpunkt der kuratorischen Arbeit im Brücke Museum liegt daher auf dem Dialog der Sammlung mit jüngeren Künstler*innen. Die Direktorin lädt gerne Expert*innen ein, um neue Perspektiven von außen auf die Sammlung zuzulassen, ohne selbst als Spezialistin das Ausstellungsprogramm allein zu bestimmen.

Mit der Ausstellung „Flucht in die Bilder. Brücke und NS-Zeit“ hat Lisa Marei Schmidt 2019 erstmals den in der deutschen Ausstellungspraxis lange Zeit sakrosankten Brücke-Expressionismus kritisch auf seine Anpassung in der NS-Zeit hin befragen lassen und dabei auch die Kooperation mit dem Kunsthaus Dahlem initiiert. 2021/22 zeigte sie die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext. Auch hier war das Kunsthaus Dahlem wieder einbezogen mit einer ersten Präsentation der Ethnografika-Sammlung von Karl Schmidt-Rottluff mit 100 Artefakten. Gerade diese Ausstellung löste eine lebendige und auch heftige Debatte im Besucherbuch aus, in dem das Publikum seitenlang miteinander in einen kritischen Dialog eintrat, über den dann sogar der Sender RBB berichtete.

In einer weiteren Ausstellung ging Schmidt 2022 erstmals auch auf die architektonischen Implikationen des eigenen Museumsbaus ein, dessen Bungalow-Architektur von Werner Düttmann den denkbar größten Gegensatz zur von Albert Speer geprägten Staatsarchitektur des ehemaligen Breker-Ateliers herstellen wollte. Düttmann stand damals in engem Austausch mit Schmidt-Rottluff, wie die Ausstellung zeigen konnte.

Im laufenden Jahr 2023 war die polnische Roma-Künstlerin Malgorzata Mirga-Tas eingeladen, mit ihren Stoffbildern, die aus Textilien der von ihr portraitierten Personen gemacht sind, in Dialog mit der Sammlung des Brücke-Museums zu treten. In Zusammenarbeit mit dem Schinkel Pavillon Berlin (hinter dem Berliner Kronprinzenpalais, dem Ort der legendären „Galerie der Lebenden“ von Ludwig Justi seit 1919), zeigt das Brücke-Museum noch bis 7. Januar künstlerische Zeugnisse von Krieg und Repression unter dem von Alexander Kluge entlehnten Titel „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“. Dabei stehen u.a. sieben Werke der Sammlung des Brücke-Museums, die 1937 als „entartet“ beschlagnahmt wurden, neben zeitgenössischen Positionen.

Im Frühjahr zeigt das Museum eine Ausstellung über die Sammlerin und Galeristin „Hanna Bekker vom Rath. Eine Aufständische für die Moderne“ (24.2.–26.6.2024), eine mutige Wegbereiterin der Moderne in der Nazi-Zeit, die „heimliche Ausstellungen“ von verfemten Künstlern in ihrer Berliner Privatwohnung zeigte. Danach kommt eine Ausstellung zur Künstlerin Irma Stern (1894–1966), die in eine deutsch-jüdische Familie in Südafrika geboren wurde und in Weimar und bei Max Pechstein studierte.

Unter der Leitung von Lisa Marei Schmidt wird das Brücke-Museum mit seiner Sammlung von Grund auf neu gedacht: Die Künstler der Brücke werden kritisch kontextualisiert, das Museum dabei mehr als nur symbolisch dem Stadt- und Naturraum und der Gegenwartskunde geöffnet und an den aktuellen Forschungsdiskurs angeschlossen – etwa in der Partnerschaft mit der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität Berlin. Viele Praktikanten entwickelten aus der Arbeit im Brücke-Museum ihre Masterarbeiten.

In Verbindung mit den Universitäten wird seit 2018 die Provenienzforschung und die Digitalisierung der Bestände (30% sind bereits online verfügbar) vorangetrieben.

Text: Eckhart Gillen

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