2017: „Otto Freundlich. Kosmischer Kommunismus“, Museum Ludwig, Köln
Der Ausstellung „Otto Freundlich. Kosmischer Kommunismus“ ist es vortrefflich gelungen, anhand der überlieferten Gemälde, Skulpturen, Wandgestaltungen, Zeichnungen, Grafiken und Schriften, Otto Freundlichs Weg in die Abstraktion zu schildern. Freundlichs Frühwerk aus den 1910er Jahren zeichnet sich in der Skulptur wie in den Grafiken, die unter anderem in Zeitschriften wie „Die Aktion“ und „a bis z“ Verbreitung fanden, durch ein kubisches Formenrepertoire, aber auch durch ein Festhalten an der Figuration aus. An einer Figuration allerdings, die sich – wie bei Picasso oder Brancusi – einer Resonanz auf die Wahrnehmung außereuropäischer Artefakte verdankt, wie sie in Volkskundemuseen und ethnologischen Sammlungen von Paris, Berlin, Hamburg und Köln um 1900 ausgestellt wurden.
Während seine Künstlerkollegen sich an den Masken Afrikas orientierten, knüpfte Otto Freundlich (1878-1943) mit seiner verloren gegangenen Skulptur „Großer Kopf“ eine Verbindung zu den Osterinseln. In den zwanziger Jahren, zurückgekehrt von der Teilnahme am Ersten Weltkrieg und durchdrungen von der Emphase der Arbeiter- und Soldatenräte der Novemberrevolution, schwärmte Otto Freundlich von dem „reinen Blau des Himmels“, das er in den Glasfenstern von Chartres gesehen hatte. Leitmedium seiner Malerei wurde infolgedessen die Glaskunst, die seit dem Mittelalter anonym und im Kollektiv hergestellt worden war. So wie die Kirchenfenster, deren Farben auch nach Jahrhunderten in unveränderter Intensität strahlen, so sollten auch seine Bilder funkeln, schimmern und glühen: fragil und doch für die Ewigkeit gemacht. Um eine unbegrenzte Farbdynamik zu entfesseln, setzte Otto Freundlich – wie in der Ausstellung in Entwürfen und in der Malerei zu sehen war – Farben und Flächen in scharfem Kontrast gegeneinander. Statt sanfte Übergänge zu schattieren oder die einzelnen Bestandteile seiner Gemälde durch Linien fein säuberlich voneinander zu separieren, feierte Freundlich das direkte Aufeinanderprallen von Gegensätzen.
Otto Freundlich war ein Künstler mit einer Haltung – gegenüber der Kunst wie dem Leben. Dies machte die Ausstellung dadurch nachvollziehbar, dass sie die bisher nur in Auszügen veröffentlichten „Bekenntnisse eines revolutionären Malers“, die Otto Freundlich 1933 in Paris niedergeschrieben hatte, für den Wandtext sowie für den Katalog neu transkribierte. Darin heißt es: „Das einzige Ziel, das ich zu erreichen strebte, in Übereinstimmung mit meiner sozialen Überzeugung, ist der Sozialismus. Ich mußte darum Schritt für Schritt zu einer stärkeren Entindividualisierung kommen. Ich mußte das egozentrische Moment, das mit der Darstellung von Menschen, Pflanzen und Dingen eng verbunden ist, ausschalten, ich mußte zu einer Art dialektischen Sprache der Farben selbst kommen.“
Getragen von Zukunftseuphorie schuf Otto Freundlich 1919 das Mosaik „Die Geburt des Menschen“. Sein „neuer Mensch“ ist ein Schöpfer, ein Architekt der Zukunft, der mit dem Zirkel in der Hand Raum und Zeit in der Unendlichkeit des Universums ausmisst.
Mit Forschungen zur Raumkrümmung und der Relativitätstheorie Einsteins vertraut, hatte Otto Freundlich hier seine Vorstellungen eines sozialistischen Kollektivs in kosmische Dimensionen ausgeweitet. Der lückenlose Zusammenschluss von kleinen verschieden farbigen Mosaiksteinen ergibt ein kosmisches Gesamtbild. Zu selben Zeit schrieb er nieder, was er sich unter „Kosmischem Kommunismus“ vorstellte: „Der Welt, der die Menschen so lange entfremdet waren, sollten sie sich endlich wieder aufschließen. Sie sollten das Ganze denken und als Freie und Gleiche ins Ganze entlassen werden.“ Heute würden wir sagen, Freundlich trat mit seinem Mosaik „Die Geburt des Menschen“ für ein ganzheitliches Denken von kosmischen Ausmaßen ein. Für die Dauer der Ausstellung wurde dieses außerhalb Kölns kaum bekannte Hauptwerk des Künstlers aus dem Kölner Opernhaus ins Museum Ludwig verbracht und dort präsentiert. Welch eine Leistung!
Doch damit nicht genug. Die Ausstellung veränderte auch nachhaltig die Sicht auf Otto Freundlichs Werk, weil sie der bislang dominanten Rezeption mit starken Gegenbildern entgegentrat. Otto Freundlich musste Anfang der 1930er Jahre zur Kenntnis nehmen, dass sich das sozialistische Kollektiv, von dem er geträumt hatte, in einen antisemitischen, expansionistischen und brutalen nationalsozialistischen „Volkskörper“ verwandelt hatte. Diese Tatsache hielt ihn allerdings nicht davon ab, auch dann noch für die Prinzipien des „Kosmischen Kommunismus“ einzutreten, als es unerwünscht, ja lebensgefährlich geworden war, Künstler, Kommunist und Jude zu sein. Versehen mit dem Titel „Der neue Mensch“ wurde seine Skulptur „Der Große Kopf“ aus dem Jahr 1912 von der Propagandamaschinerie des Nationalsozialismus „als Ausgeburt einer geistesgestörten Phantasie“ bezeichnet und dem allgemeinen Hohn und Spott preisgegeben.
Statt wieder einmal dem diffamierenden Coverbild auf dem Ausstellungsführer „Entartete Kunst“ aus dem Jahr 1937 zu weiterer Popularität zu verhelfen, begrüßte Dr. Julia Friedrich die Besucher im Museum Ludwig mit einer historischen Ausstellungsansicht: Zu sehen war der „Salon des Réalités Nouvelles“ in der Galerie Charpentier in Paris im Sommer 1939.
Otto Freundlichs Werke hängen dort, wie jeder erkennen kann, in bester Gesellschaft; nämlich neben denen von Wassily Kandinsky, Theo van Doesburg und Piet Mondrian. So verschafft sich ein Künstler von Rang und Namen Respekt. Auch in der Kölner und Basler Ausstellung selbst wurde Otto Freundlich keineswegs nur als ein ahnungs- und hilfloses Opfer präsentiert. Gezeigt wurde etwa ein bewegender Aufruf, den, anlässlich des 60. Geburtstags des Künstlers im Jahr 1938, Alfred Döblin, Max Ernst, Hans Arp, Georges Braque, Robert und Sonia Delaunay, Oskar Kokoschka und Sophie Taeuber Arp unterzeichnet hatten. Doch damit nicht genug. Peggy Guggenheim machte das Publikum zur Eröffnung ihrer Galerie Guggenheim Jeune in London mit Werken von Otto Freundlich vertraut. Herbert Read und Alfred Barr traten stimmgewaltig für ihn ein. Das alles aber sollte nichts helfen. Nach Internierungen, Flucht und Deportation wurde Otto Freundlich im März 1943 ermordet, vermutlich in Sobibor. Zurück blieb ein aus dem Gedächtnis gefertigtes handschriftliches Werkverzeichnis, das Freundlich 1941 auf der Flucht vor den nationalsozialistischen Schergen in seinem Versteck in den französischen Pyrenäen angelegt hatte. In den 1980er Jahren fand die Kunsthistorikerin Rita Wildegans dort die Malutensilien, die Freundlich im Verschlag zurücklassen musste. All diese Dokumente wurden in der Ausstellung „Otto Freundlich. Kosmischer Kommunismus“ ausgebreitet.
Beeindruckt hat mich darüber hinaus, mit welcher Fülle von verblüffenden Forschungsergebnissen diese Ausstellung aufwarten konnte. Die Restauratoren haben die Maltechnik Otto Freundlichs systematisch untersucht. Zudem stellte sich während der Recherchephase heraus, dass die Reichskammer der bildenden Künste mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ eine Replik des „Großen Kopfes“ von Otto Freundlich hatte anfertigen lassen. „Der Große Kopf“, den 1914 eine Cousine von Aby Warburg erworben hatte und der 1937 in der Hamburger Kunsthalle beschlagnahmt worden war, wurde in der Replik so überarbeitet und überzeichnet, dass sie den antisemitischen NS-Klischees weitaus mehr entsprach als die vom Künstler selbst gefertigte Monumentalplastik.
Kurz gesagt: Die Ausstellung „Otto Freundlich. Kosmischer Kommunismus“ hat mich in jeder Hinsicht überzeugt: als Erkenntnismedium, als Wahrnehmungsinstrument, als Vermittlungsinstanz kunsthistorischer Forschung und als indirekter Kommentar zu den nach wie vor ungelösten Problemen, die aus der skandalösen Verweigerung von Bürgerrechten resultieren, von der derzeit etwa 65 Millionen Menschen weltweit betroffen sind. Diese Ausstellung hat mich zutiefst berührt, weil sie einen Künstler ins Licht der Öffentlichkeit gerückt hat, der durch Verfemung, Verfolgung, Flucht und Ermordung unsichtbar und mundtot gemacht werden sollte, aber dennoch ein Werk hinterlassen hat, das in den leuchtendsten Farben Visionen eines „neuen Menschen“ vor Augen führt, das von Zukunftseuphorie durchdrungen ist und das von einem wachen Zeitgenossen erzählt, der davon überzeugt war, im „bewegten Meere des kosmischen Gesamtleibes“ das einzig Richtige zu machen: Kunst.
Text: Annette Tietenberg