2023: „Cameron Rowland: Amt 45 i“, Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main
Juror: Gregor Quack
Die „Besondere Ausstellung“ des Jahres 2023 ist „Cameron Rowland. Amt 45 i“, die vom 11. Februar bis zum 15. Oktober 2023 im TOWER MMK zu sehen war, also der Filiale der Frankfurter Museums für Moderne Kunst im sogenannten TaunusTurm – einem Gebäude, das ansonsten vor allem von diversen Finanzfirmen genutzt wird, die zum großen Teil auch zu den Förderern des Museums gehören.
Diese lange vorbereitete und recherchierte Einzelausstellung Rowlands arbeitete mit intellektuell ausufernden, aber visuell extrem sparsamen Mitteln. Elf Werke standen auf der Werkliste, von denen einige aus unscheinbaren „found objects“ und andere gar aus gänzlich unsichtbaren Interventionen im Inneren des Museumsbetriebs bestanden. Zusammen näherten sie sich dem Thema des transatlantischen Sklavenhandels nicht als reiner US-Amerikanischen Eigenheit, sondern unterstrichen im Gegenteil gerade die tiefe, oft profitträchtige Verstricktheit Europas in jeden Teil dieses Jahrhunderts währenden Verbrechens. Der akademische und quellenstarke Text zur Ausstellung beschrieb den historischen Hintergrund wie folgt:
„Der Wert, der versklavtem Leben entnommen wurde, ist einbehalten, wieder in Umlauf gebracht und vermehrt. Er wirft bis heute Erträge für europäische Staaten, Institutionen, Unternehmen und Familien ab. Zu diesen Institutionen zählt auch das Museum MMK für Moderne Kunst, Amt 45 i der Stadt Frankfurt am Main.“
Dass ich die Ausstellung für die „Besondere Ausstellung“ des Jahres halte, hat mit meinem Verständnis dieses Preises zu tun, der in meinen Augen nicht lediglich eine „kleinere“ Version der Auszeichnung als „Ausstellung des Jahres“ darstellt. Ich sehe beide Preise als Auszeichnungen einer „besten“ Ausstellung des Jahres. Aber während sich eine „Ausstellung des Jahres“ auch dadurch auszeichnen kann, dass sie gesellschaftliche Stimmungen spiegelt und wiedergibt, ist eine „besondere Ausstellung“ gerade deswegen „besonders“, weil sie gewissen Tendenzen in der Kunstwelt und sonstigen Gesellschaft auf begrüßenswerte oder zumindest interessante Weise entgegenläuft.
Konsumierbarkeit
Im vergangenen Jahr schienen sich der Kunstmarkt und auch viele Institutionen auf eine im Allgemeinen als immer angespannter empfundene Weltlage zu reagieren, indem sie sich im erschreckenden Gleichschritt auf das vermeintlich sichere Terrain historisch etablierter Künstler*innen und zugänglicher, farbenfroher Malerei zurückzuziehen begannen.
Wie komplett die Ausstellung „Amt 45 i“ aus diesem Trend herausfiel, zeigt sich nicht nur daran, dass sie im Nachhinein schwer zu beschreiben ist, sondern auch an ihrer vergleichbar geringen Präsenz in sozialen Medien. Diese Ausstellung, so Silke Hohmann im Magazin Monopol, „fand vor allem im Kopf statt.“ Anstatt marktgängiger Ölgemälde erwarteten Besucher hier elf zum Teil unsichtbare Arbeiten oder Objekte wie gespannte Seile, alte Webstühle und, notarisch beglaubigte, Schuldnerverträge zwischen dem Museum und einer eigens von Cameron Rowland gegründeten Finanzholding namens Bankrott Inc.
Natürlich ist ästhetische Verweigerung nichts Neues in der Geschichte der Avant-Garde. Das Besondere bei Cameron Rowland war, dass Fragen nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, retinaler oder konzeptueller Kunst sich eben nicht als künstlerischer oder kunsthistorischer Selbstzweck präsentierten. Wer hier fragte, warum es nichts Schönes zu sehen gab, den fragte die Kunst zurück, wie genau solche Schönheit hätte erkauft werden müssen. In den besten Momenten der Ausstellung ließ Rowland die Betrachter darüber nachdenken, woher wir ihn uns eigentlich nehmen, diesen Anspruch auf erbaulichen, ästhetischen Genuss nach persönlich angenehmen Spielregeln.
Die Abwesenheit klassischer Kunstobjekte war dennoch nicht bloß trotzige Verweigerung, sondern eine subtile Umleitung des museumsgeschulten, kunstgesättigten Blicks. So bestand etwa die Arbeit Public Use schlicht in der Öffnung von sonst verschlossenen Ein- und Ausgängen im Gebäude, das neben dem Museum auch Finanzgesellschaften beherbergt. Das ermöglichte im übertragenen und wörtlichen Sinne neue Blicke auf die museale Verstrickung in Finanzsysteme.
Folgenlosigkeit
Im Jahr 2023 schienen sich viele Institutionen aus politischem Diskurs und der sogenannten „echten“ Welt zurückziehen—sei es aus reaktionären Impulsen oder inzwischen erneut verbreiteten Angst vor Zensur. Mit einer Eröffnung im Februar war die Ausstellung „Amt 45 i“ nicht von den allerjüngsten Diskussionen betroffen, die die Kunstwelt seit Monaten erschüttern, und doch bot Rowland ein Beispiel dafür, wie die Unterscheidung zwischen der in der Kunstwelt verbreiteten symbolischen Kritik und realen, materiellen Interventionen bis an ihre Grenze gedehnt werden kann.
In der Werkbeschreibung heißt es: „Dem Museum MMK für Moderne Kunst wurde von der Bankrott Inc. ein Darlehen in Höhe von 20.000 Euro gewährt. Zwar besagt der Vertrag, dass diese eigens von Rowland gegründete Firma „die Rückzahlung niemals einfordern“ wird. Und dennoch ist es deutlich beunruhigender als viele andere Formen der Kritik, wenn man ausrechnet, dass sich diese Verbindlichkeit in 2122 auf mehr als dreihundert Millionen Euro erhöht haben wird.
Spätestens seit Dada hat die Avant-Garde immer wieder die Zerstörung der Museen gefordert. Hier geht ie einen kleinen Schritt weiter. Der Vertrag ist nicht nur eine schmerzhafte Spiegelung der Verträge, die in anti-kolonialen Revolten gegründete Staaten wie Haiti bis heute tief belasten, sondern lässt auch die Schwammigkeit zwischen rechtlicher Durchsetzbarkeit und dem Versprechen der Niemalseinforderung bedrohlich im Raum stehen.
Selbstkritik
In einem Jahr, in dem es in Deutschland salonfähig wurde Rassismus und Antisemitismus allerernstes als „importierte“ Phänomene zu beschreiben, frischte „Amti 45 i“ das in den letzten Jahren zu oft vernachlässigte Analysebesteck der Institutional Critique auf und zeigte eine Fähigkeit zur Selbstkritik, die in dieser Weise erstaunlich rar zu werden scheint. Sogar Besucher wurden dazu eingeladen, sich in dieser raren Fähigkeit zu üben… Das Werk Bug trap bestand aus nicht mehr als einem quer durch den Raum gespannten Seil. Erst die erläuternde Broschüre erklärte dieses Werk als Referenz auf die Frühwarnsysteme, die versklavte Menschen zum Schutz konspirativer Treffen vor Aufsehern installierten. Jeder aufmerksame Besucher muss sich beim Betreten dieser Ausstellung fragen, auf welcher Seite dieses Seiles er oder sie sich wohl befindet—auf der des geschützten Treffens oder jener der Patrouille.
Furchtlosigkeit
Das Jahr 2023 war nicht nur gekennzeichnet von einer langen ungekannten Welle an Ausstellungsabsagen, sondern auch und vor allem von einem neuen Ausmaß an Furcht und Selbstzensur in viele Richtungen – in sowohl kritischer als auch kuratorischer Arbeit. Die aktuelle Entwicklung dieser Tendenzen verläuft wohl noch zu rapide, um sie schon in der Auswahl der besonderen Ausstellung des letzten Jahres berücksichtigen zu können. Aber „Amt 45 i“, mit ihrer ausdrücklich kritischen Betrachtung des MMK Geldgebers Commerzbank, kann als Beispiel dafür dienen, dass es sich manchmal lohnt, sogar die Hand zu beißen, die einen füttern.
Text: Gregor Quack
https://www.mmk.art/de/whats-on/cameron-rowland