2020 Vivian Suter. Bonzo's Dream

Laudatio zur Besonderen Ausstellung 2020

Vivein Suter, Bonzo's Dream
Vivein Suter, Bonzo's Dream Foto Roman Maerz

Bonzo’s Dream, Brücke Museum Berlin

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Lisa Marei Schmidt,

im Herzen unserer aller Tätigkeit liegt die Kunst, deshalb möchte ich bei meiner kleinen Laudatio für die „besondere Ausstellung“ bei der Künstlerin beginnen.

Es gibt einige entscheidende Momente im Leben von Vivian Suter. Einer von ihnen war die Begegnung mit Stan. So hatten die Meteorologen den Hurrikan getauft, der am 4. Oktober 2005 über Südamerika tobte, 2000 Todesopfer forderte und schwere Überschwemmungen verursachte. Auch über die ehemalige Kaffeeplantage in dem kleinen Ort Panajachel in Guatemala, wo Suter seit Anfang der 1980er-Jahre lebt, zog Stan hinweg. Der Gebäudekomplex liegt an einem der vulkanischen Berge rund um den See Atitlán, ein verwunschenes Haus im Dschungel mit zwei Ateliers, eines oben am Hang, eines unten. Als das Wasser sich zurückzog, fand Suter ihre Kunst zerstört: Viele Bilder, die auf dem Boden lagen, hatte der Schlamm begraben, fast einen Meter hoch. Die hängenden Sachen waren nass. „Es war ganz furchtbar, alles war verloren“, berichtet sie mir im Interview. Gemeinsam mit ihren Helfern aus dem Dorf begann sie, aufzuräumen. Sie säuberte die Werke, sie trocknete sie. „Irgendwann habe ich die Sachen wieder angeschaut und eine besondere Schönheit in ihnen gesehen. Das war ein Wendepunkt.“

Seitdem lässt Suter die Natur in ihre Kunst hinein. Sie vergräbt sie, setzt sie Wind und Wetter aus, macht sie zum Teil des Dschungels, in dem sie lebt. Und auch wenn sie ausstellt, ist die Natur ihr Partner. Auf der Documenta 14 in Athen flatterten ihre bemalten und bearbeiteten Stoffbahnen unter dem offenen Dach eines halb verfallenen Pavillons auf einem grünen Hügel bei der Akropolis im Wind – ein magischer Moment, für mich einer der Höhepunkte der Ausstellung. Mit diesem Auftritt brachte Documenta-Leiter Adam Szymczyk Vivian Suter wieder auf die Agenda, gemeinsam mit ihrer Mutter Elisabeth Wild, die seit Jahrzehnten mit ihr zurückgezogen in Guatemala an ihrer Kunst arbeitet und ebenfalls zur Documenta eingeladen war.

Es ist nicht so, dass Vivian Suter, 1949 in Buenos Aires geboren, vorher keine Karriere gehabt hätte. Sie begann mit der Ausstellung „6 Künstler aus Basel“ die Jean-Christophe Ammann 1981 in der Kunsthalle Basel organisiert hatte. Heute würde man sie „Emerging Artists“ nennen: Alex Silber, Anselm Stalder, Rut Himmelsbach, Hannah Villiger, Miriam Cahn und eben Vivian Suter. Der Kunstmarkt nahm damals gerade wieder Fahrt auf, plötzlich waren Maler gefragt (und Malerinnen auch), die Medien berichteten – und Vivian Suter entzog sich dem Hype. „Das Oberflächliche, die Vernissagen, das nahm alles so viel Zeit weg“, sagt Suter. „Ich wollte mich mehr auf meine Kunst konzentrieren.“

Suter reiste nach Los Angeles, dann immer weiter nach Süden – und blieb in Guatemala hängen, an den vulkanischen Hängen des Sees Atitlán. Dort verfolgte ihren ganz eigenen künstlerischen Weg weitab vom Betrieb. Zu ihrer Galerie Stampa hielt sie über all die Jahre Kontakt, aber ansonsten schien es, als hätte die Kunstwelt sie vergessen. Bis Szymczyk sie aufstöberte und 2011 noch einmal „Künstler aus Basel“ zeigte. Der Documenta-Auftritt machte das Comeback komplett.

Es hat seitdem einige auch große Ausstellungen mit Vivian Suter gegeben. Aber die, die im September 2020 im Berliner Brücke Museum eröffnete, war eine ganz besondere. Auch im Brücke Museum hingen Vivian Suters Leinwände im Wind – unter dem Dach des modernistischen Düttmann-Baus. Und im Inneren des Museums waren sie wie eine frische Brise.

Lisa Marei Schmidt, Kuratorin und Direktorin des Brücke-Museums, hat mit der Ausstellung von Vivian Suter und Elisabeth Wild Sonne, Luft und Gegenwart in ihr Museum gelassen und beispielhaft gezeigt, wie zeitgenössische Kunst mit einer Sammlung in einen wirklich fruchtbaren Dialog treten kann.

Der Eingriff war zunächst architektonisch: Lisa Marei Schmidt hat die Oberlichter des Pavillons geöffnet und mit einem Schlag überraschend viel lichten Raum geschaffen, in dem Suters Leinwände frei schwingen konnten. Wer hätte gedacht, dass der Düttmann-Bau so hell und licht sein kann. Die Bilder rahmten die großen Fenster ein und lenkten den Blick in den Garten, sie umspielten aber auch in ungesehener Freiheit die Klassiker von Ernst Ludwig Kirchner oder Karl Schmidt-Rottluff, die teilweise sogar direkt auf Suters Werke gehängt wurden. Sie selbst hätte sich das nie getraut, hat Lisa Marei Schmidt mir gesagt. Aber die Künstlerin, die durfte das.

Schmidt hatte Vivian Suter und ihre Mutter Elisabeth Wild gebeten, mit ihrer einmaligen Sammlung zu arbeiten. Es war Elisabeth Wild, die die Werke noch ausgesucht hat, die in der Ausstellung zu sehen waren. Wild ist im Februar 2020 im Alter von 98 Jahren gestorben.

Bis zuletzt hat sie an ihren kleinformativen Collagen gearbeitet, die in der Ausstellung zu sehen waren. Und Vivian Suter konnte trotz Pandemie im digitalen Distanz-Aufbau sehr genau entscheiden, wie die Werke gehängt und die Konstellationen geschaffen werden.

Der Umgang mit der Sammlung ist so spielerisch wie erhellend: Wild wählte nie gezeigte Textilarbeiten aus, die nach Brücke-Werken entstanden, bezog Kunstgegenstände wie ein geschnitztes Schachspiel von Karl Schmidt-Rottluff mit ein, ließ Bilder umdrehen, die an ihrer Rückseite weitere Werke verbergen. Und Suters Malereien brachten die Farbakkorde der Brücke-Bilder neu zum Singen. „Es ist, als würde ich mich selbst auf die Seite tun und dann das Außen einfließen lassen“, so beschreibt sie ihre intuitive, aber niemals naive Arbeitsweise.

Eine überaus gelungenen Eroberung der Kunstgeschichte – die nebenbei die Frauenquote im sonst so männlich geprägten Brücke-Umfeld phänomenal verbesserte.

Es ist heute viel von der Revision des Kanon die Rede, und davon, wie die Museen sich der Gegenwart öffnen können. Man glaubte immer, Museen repräsentieren die Kunstgeschichte. In Wirklichkeit repräsentieren sie in ihrer überwältigenden Mehrheit aber nur einen kleinen Teil davon: Den weißen, männlichen. Gerade auch die Künstler der Brücke werden heute anders wahrgenommen als noch vor wenigen Jahren. Die Geschlechterverhältnisse in ihren Werken und auch in ihren Biografien werden problematisiert, die allzu kindlichen, sexualisierten Modelle, der Exotismus. Gleichzeitig wehren sich viele Menschen dagegen, dass ihre geliebten Werke, ihre Ikonen, auf diese Weise in Frage gestellt werden. Ein kleines, spezialisiertes Haus wie das Brücke Museum liegt deswegen nur scheinbar an der Peripherie des aktuellen Kunstgeschehens. Es ist direkt im Zentrum des Diskurses. Und Lisa Marei Schmidt hat den Mut, das in ihrem Programm auch umzusetzen. Sie muss dafür nichts und niemanden canceln. Sie sucht vielmehr nach einer Form der Aktualisierung, die beiden Seiten gerecht wird. Und hat mit Vivian Suter und Elisabeth Wild ein perfektes Gegenüber für die Brücke-Werke gefunden. Vielleicht ein Korrektiv. Aber eines, das eine ähnliche Seite anschlägt, und das einen Resonanzraum findet.

Der Titel der Ausstellung lautet: Bonzo’s Dream. Was träumt ein Hund in einem paradiesischen Garten in Guatemala? Das ist eine Frage, die sich auch die Brücke-Künstler hätten stellen können. Wie können wir den Kanon aktualisieren? Das ist eine Frage die Lisa Marei Schmidt im Brücke Museum beantwortet hat – auf geradezu traumhafte Weise.

Elke Buhr
Alleinjurorin
Dessau, 4. Dezember 2021











Bonzo’s Dream ist die Besondere Ausstellung 2020

Vivian Suter, Brücke Museum, Berlin
Vivian Suter, Brücke Museum, Berlin Foto Roman März

Als „besondere Ausstellung des Jahres 2020“ wähle ich „Bonzo’s Dream“ von Vivian Suter im Brücke-Museum Berlin. Kuratorin Lisa Marei Schmidt hatte die in Guatemala Lebende Malerin Vivian Suter und ihre im Februar 2020 verstorbene Mutter Elisabeth Wild eingeladen, im Brücke-Museum auszustellen und dabei mit der Sammlung des Hauses zu arbeiten. Das Ergebnis zeigt – trotz pandemiebedingem Distanz-Aufbau – zu welch großartigen Ergebnissen das oft bemühte Schlagwort von einer Aktualisierung der Kunstgeschichte aus zeitgenössischer Sicht führen kann. Kuratorin Lisa Marei Schmidt hat die Oberlichter des modernistischen Pavillons geöffnet und mit einem Schlag überraschend viel lichten Raum geschaffen, in dem Suters Leinwände frei schwingen konnten. Die Bilder rahmten die großen Fenster ein und lenkten den Blick in den Garten, sie umspielten aber auch in ungesehener Freiheit die Klassiker von Ernst Ludwig Kirchner oder Karl Schmidt-Rottluff, die teilweise sogar direkt auf Suters Werke gehängt wurden.
Der Umgang mit der Sammlung ist so spielerisch wie erhellend: Wild, deren Collagen Suters Installationen an einigen gut gesetzten Wänden ergänzen, wählte nie gezeigte Textilarbeiten aus, die nach Brücke-Werken entstanden, bezog Kunstgegenstände wie ein geschnitztes Schachspiel mit ein, ließ Bilder umdrehen, die an ihrer Rückseite weitere Werke verbergen. Und Suters Malereien brachten die Farbakkorde der Brücke-Bilder neu zum Singen. Selbst in den Außenraum reichte der frische Windhauch dieser gelungenen Eroberung der Kunstgeschichte ­– die nebenbei die Frauenquote im sonst so männlich geprägten Brücke-Umfeld phänomenal verbesserte.

Elke Buhr
Jurorin 2020

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