„Wir wissen nicht, ob das, was wir in den Akten gelesen haben, so nur in Osteuropa passiert ist. Doch sind wir uns ziemlich sicher, dass auch in den westlichen Ländern Künstler überwacht wurden,“ kommentierten Sylvia Sasse und Kata Krasznahorkai ihre ausführlichen Recherchen über die Interaktionen zwischen Geheimdiensten und Performancekunst, die in der gemeinsam mit Inke Arns und in Kooperation mit dem Slavischen Seminar der Universität Zürich kuratierten Ausstellung „Artists & Agents“ im Hartware MedienKunstVerein in Dortmund zu studieren waren. Untersucht wurde u.a. der Einfluss der CIA als Kultursponsor im Kalten Krieg. Seit dem 11. September 2001 sind auch im Kunstbetrieb immer wieder Einzelfälle von Überwachung bekannt geworden. US-Behörden führen mit der Terror-Watchlist eine sehr umfangreiche Liste von Verdächtigen (Known or Suspected Terrorists). Auf die Liste gelangte 2005 etwa der deutsche Künstler Christoph Faulhaber, der mit seinen Performance-Aktionen als „Mister Security“ amerikanische Botschaften bewachen und damit „beschützen“ wollte. 2018 wurde öffentlich, dass gegen das „Zentrum für Politische Schönheit“ in Deutschland wegen des Verdachts der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ (§ 129 STGB) ermittelt wurde. Und nicht nur Julian Assange, der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, sondern auch seine Besucher, darunter Journalist*innen und Filmemacher*innen, sind in der ecuadorianischen Botschaft ausgespäht worden; ein massiver Bruch gegen Redaktionsgeheimnis und Persönlichkeitsrechte.

Da endlich zahlreiche Archive seit 1990 in Deutschland, Osteuropa und auch in der Schweiz geöffnet sind, konnten in den letzten Jahren überraschende Informationen und Akten ausgewertet werden. Diese lassen ahnen, wie sehr destruktive und „zersetzende“ Strategien gegen künstlerische Subversion und Freiheit auch in Zukunft von geheimdienstlichen oder autoritären Strukturen eingesetzt werden konnten und können. Zugleich verblüffen die unterschiedlichen Ansätze der Geheimdienste, die sich nicht selten sehr nah an künstlerische herantasteten. Für die Ausstellung „Artists und Agents“ wurden zahlreiche Fallbeispiele aus der Schweiz, der DDR, Polen, der CSSR, der Ungarischen Volksrepublik, Rumänien, der UdSSR, Chile, den Niederlanden und Deutschland zusammengetragen.

Vor allem das Medium der künstlerischen Performance und des Happenings, im Osten meist Aktionskunst genannt, galt den Geheimdiensten als besonders suspekt. Aktionskunst galt als westlich, neoavantgardistisch, dekadent, bourgeois und antisozialistisch. Meist fanden die Aktionen spontan und ohne vorhersehbare Choreographie statt. Manchmal waren die Veranstaltungsorte unbekannt und auch das zu erwartende Publikum galt es präzise nach dem WKW-Schema (Wer-Kennt-Wen) zu evaluieren.

Was eine Performance für die Geheimdienste ist, bleibt dabei sehr dehnbar. Sanja Ivekovic fordert – während eines Besuchs von Tito in Zagreb – in ihrer ikonischen Arbeit „Triangle“ die Beobachtung durch die Polizei förmlich heraus, in dem sie einfach auf dem Balkon sitzt und liest und so tut, als würde sie masturbieren. Gegenüber steht ein Scharfschütze auf dem Dach. Doch nicht immer gelingt es, die Überwacher zu überwachen.

Die Aussstellung bündelt zahlreiche Geschichten, die bis in die Gegenwart hineinreichen. Besonders betroffen war Gabriele Stötzer, über die nach der Wende tausende von Stasi-Akten bekannt wurden, die alles zusammenfassten, was an Verrat, Denunziation, Erpressung und Hinterhältigkeit denkbar ist. Die Stasi spielte ihr ein Modell zu, einen jungen Transvestiten (IBM Konrad), der bereits wegen pornographischer Bilder im Gefängnis gesessen hätte. Stötzers intime Fotos des Modells erzählen eindringlich, wie zerrissen Situationen stattgefunden haben. Stötzer hatte einen Protestbrieg gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterschrieben und wurde zu einer Gefängnisstrafe wegen Staatsverleumdung verurteilt.

Auch Cornelia Schleime, die 1984 aus der DDR ausgereist war, hat die Überwachung später zu eigenen künstlerischen Arbeiten verwendet; indem sie sich inszenierte, wie die Stasi ihr das zuphantasiert hatte. Ihr wurden zahlreiche negativ-feindliche Konnotationen zugeschrieben.

Noch komplexer ist eine Fotokoje, die eine Arbeit von Tina Bara und Alba D’Urbano zeigt. Die entdeckten nämlich in der Arbeit der spanischen Künstlerin Dora Garcia ein 25 Jahre altes Foto, dass offensichtlich auch aus Stasi-Akten stammte und Tina Bara nackt mit einem Balken über den Augen zeigt. Das Foto war Teil eines beschlagnahmten Konvoluts, das 1983 im Rahmen der operativen Aktion „Wespen“ entzogen wurde; wie Recherchen ergaben. Dora Garcia verwendete dieses als Found-Footage, ohne sich über die Herkunft des Bildes Klarheit zu verschaffen bzw. die Persönlichkeitsrechte abzufragen; eine Problematik, die in der Kunst nicht selten vernachlässigt wird. Die Ausstellung findet für all diese Geschichten spezifische Ausstellungsinszenierungen.

Mit verblüffender Raffinesse näherten sich Agenten mit doppelten Identitäten auch künstlerischem Denken und Können an oder waren selber als Künstler ausgebildet. Der Fotograf Ralf-Rainer Wasse (1942 – 2017), der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte und ab 1976 als inoffizielles Mitglied der Künstlergruppe Clara Mosch aus Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) ihre gesamten Aktionen fotografisch begleitete, ist ein solches Beispiel. Der Freund, der auch Künstlerfilme drehte, Postkarten entwarf und an Mail Art-Objekten mitarbeitete, war zugleich unter dem Decknamen „Frank Körner“ als IM für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR tätig. Zur Gruppe, für die Lutz Dammbeck 1977 das Gründungsplakat entwarf, gehörten damals Carlfriedrich Claus, Gregor-Torsten Schade, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke und Michael Morgner. Die Dokumentationen der Clara Mosch-Pleinairs durch Wasse, der immer mit bestem Fotomaterial und professionellen Blick ausgestattet war, sind von hoher Qualität und Vollständigkeit. „Wasse, der uns als seine Künstlerfreunde verriet, hat uns letztlich damit eine Art Werkverzeichnis hinterlassen,“ äußerte Thomas Ranft zur im gleichen Jahr 2020 stattfindenden Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz, die erstmals alle dokumentierten Performances zeigte.

Dass eine der Clara Mosch zugeschriebenen Aktionen aber gar nicht von den Künstlern stammt, zeigt nicht zuletzt auf, ob man Stasi-Informationen letztlich immer Glauben schenken darf. „Das Scheigen von Clara Mosch wird unterbewertet“ heißt es auf einer „Straßenschmiererei“ in weißer Farbe. Diese wurde als „Kompromat“ einem anderen Fotografen, Kurt Buchwald, zugeschrieben, stammte aber ebenso von Wasse selbst, wie Stasiakten offenlegen, erläuterte Sylvia Sasse.

Journalismus ist keine Spionage. Künstlerische Beobachtung gemeinhin auch nicht. In zahlreichen Aktionen und Initiativen reagierten Künstler mit Gegen-Beobachtungen. Die polnische Gruppe „Orange Alternative“ organisierte am 1. März 1988 den „Tag des Geheimdienstlers“, als wäre er von der Staatsicherheit selbst ins Leben gerufen. Der tschechische Künstler Jiří Kovanda ließ sich um 1977 von einem Freund mit der Kamera verfolgen und fotografieren, als würde dies aus der Perspektive eines auch für Passanten sichtbaren Informanten geschehen.

Mit der Auszeichnung „Ausstellung des Jahres“ haben die deutschen Kunstkritiker die Schau „Artists and Agents – Performancekunst und Geheimdienste“ im Hartware MedienKunstVerein in Dortmund prämiert. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls beleuchtete die Schau die Interaktion zwischen Geheimdiensten und der Performancekunst als eine Kunstrichtung, die den Parteidiktaturen Osteuropas am unkalkulierbarsten, als westlich und dekadent erschien. Zu der Frage, was die Geheimdienste von den Künstlern befürchteten und was die überwachten Künstler und Künstlerinnen zu befürchten hatten, stellte die Ausstellung künstlerische Positionen aus der Perspektive geheimdienstlicher Ermittlungen vor. Hierfür waren umfangreiche Recherchen in den nach 1990 geöffneten Geheimdienstarchiven der ehemaligen Ostblock-Länder nötig. Die geheimdienstliche Unterwanderung der Kunstszene führte aber auch zu ihrer kunsthistorischen Dokumentation. Die in der Ausstellung geleistete Verbindung akademischer Forschung mit souveräner multimedialer Ausstellungskultur ist vorbildlich; zumal beide in den letzten Jahren eher auseinandergedriftet sind. Wie immer war die Ausstellung von einem kostenlosen Begleitheft ergänzt. Dieses fasst ein themenspezifisches Vokabular von Geheimdienst-Codes und Techniken zusammen. Hinzu kam ein anspruchsvolle Katalogpublikation, die bei „Spector Books“ erschien, die Hausadresse für viele Themen, die aus dem Osten kommen.

Nicht zuletzt endete die Ausstellung mit einem Arbeitsauftrag. Zensur und Überwachung sind in vielen Ländern wieder in die Hauptschlagadern des Kulturbereichs eingedrungen. Es ist zu fürchten, dass weiterhin viele Akten angelegt werden.

Text: Sabine Maria Schmidt