Die AICA Deutschland trauert um Andreas Hüneke
Erinnerungen an Andreas Hüneke
von Jeannette Brabenetz
Der wohl bedacht gewählte Titel der Tagung zum 80. Geburtstag Die Freiheit kommt nie verfrüht beschreibt zwar auch die Beziehung Andreas Hünekes zu Wolf Biermann, doch steht er vor allem für die Bestrebungen, gar dem Willen Hünekes selbst, sich in allen Lebenslagen stets die Freiheit zu bewahren. Wie gelingt das in einem repressiven System wie der DDR, welches sich insbesondere die auf Nebenwegen wandelnden, die Eigentümlichen, die Eigenartigen, Einzigartigen aussuchte, um sie zu drangsalieren? Indem man sich genau diese Eigenartigkeit und Eigentümlichkeit bewahrt und nicht einknickt! Eingeknickt ist Andreas Hüneke nie! Wenn es noch etwas mehr als seine zahlreichen Publikationen und kunsthistorischen Entdeckungen zur Entarteten Kunst, zum Expressionismus und zur Gegenwartskunst zu erinnern gilt, dann ist es seine Fähigkeit, leise, jedoch bestimmt, ohne großes Aufsehen und vor allem ohne Gier nach Aufmerksamkeit an seinen selbstgestellten Aufgaben weiterzuarbeiten.
Das Erbe dieses besonderen Menschen ist also ein unverwechselbares: Neben dem Materielle, das an Forschung und Gedanken durch ihn publiziert und zu lesen ist, ist es eben diese persönliche Art der Resistenz, der widerständigen Behauptung, welche bis in die Gegenwart großen Eindruck hinterlassen hat. So hat er auch nach der politischen Wende keines seiner Themen aufgegeben oder sich noch Populärerem zugewandt; hat sein Netzwerk der Künstler:innen, die vor allem seiner Generation der in den 1940er Jahren Geborenen angehörten, nie aufgegeben, sondern rege weiter gepflegt und gehegt.
Sein seit 1982 gewähltes Potsdamer Zuhause war dabei Dreh- und Angelpunkt, von hier aus und dorthin führten viele der gesponnenen Netzwerkfäden hin und wieder zurück; hierin lud er ein, um seine neuesten Publikationen vorzustellen, hier realisierte er 1985 gemeinsam mit dem Astrophysiker Rudolf Tschäpe die legendäre Ausstellung zur Friedensdekade in der Nikolaikirche (für die er gar Lob des Kollegen Christoph Tannert erhielt). Hier gründete er 2002 den Potsdamer Kunstverein, von hier aus führten seine Wege zu den Künstlern, in die Sammlungen oder zu den Treffpunkten wie Günter Huniats privatem Skulpturengarten in Leipzig. Überhaupt war es seine Liebe zum Original, zum originalen Dokument und zum Originalschauplatz, dem Atelier, der Bibliothek und dem Archiv, welches Hünekes Kernanliegen seiner Ausflüge und Reisen war und ihn nicht zuletzt auch zu seinem bedeutsamsten Fund, der sogenannten Harry-Fischer Liste führte, einem Inventarverzeichnis der von den Nationalsozialisten aus Deutschen Museen und Kunstsammlungen beschlagnahmten Kunstwerke, das die Provenienzforschung zur NS-Raubkunst auf eine neue Ebene hob.
Einiges von diesen Entdecker- und Forschertouren floss auch wieder nach Potsdam zurück, in seine Sammlung ostdeutscher Kunst nach 1945, die er 2014 dann auch der Öffentlichkeit vorstellte. Diese Sammlung spiegelt seine Beziehungen, Vorliebe für die Abstrakten und seinen Wunsch nach Manifestation derselben in Kunstwerken wider. Das künstlerische Überleben vieler Künstler:innen, die ähnlich bedrängt waren oder drohten, vergessen zu werden, hat Andreas Hüneke unter anderem auch dadurch gesichert, dass er deren Werke in seine Sammlung aufnahm, sich um Künstlernachlässe wie die von Carl Marx oder Christel Seidel-Zaprasis kümmerte, Ausstellungen realisierte wie die nicht minder legendäre, 1979 im Schloss Dessau-Mosigkau eröffnete Schau zur Objektkunst in der DDR, jener im Refraktor der Sternwarte auf dem Telegrafenberg in Potsdam oder jener am Zentralinstitut für Genetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, als auch Texte zu ihren Werken publizierte. Als die Größen der Klassischen Moderne, Ernst Ludwig Kirchner, Willi Baumeister, Oskar Schlemmer, Kurt Schwitters, August Macke oder Rudolf Belling ihre 100. Geburtstage feierten, verfasste er in der Zeitschrift Bildende Kunst anstelle von Rückblicken verständige Einblicke in deren Kunst. Seine maßgebliche Publikation, das Standardwerk Der Blaue Reiter: Dokumente einer geistigen Bewegung (Reclam 1986) zeichnet sich durch die äußerste Sensibilität der hermeneutischen Annäherung aus, durch die er das Material, Werk und Leben der Künstler erschließt.
Karl Max Kober, einstiger Professor an der Leipziger Karl-Marx-Universität und Dozent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Mitglied der AICA Ost und kunstwissenschaftlicher Verwalter des Sozialistischem Realismus widersprach er 1980 öffentlich in einer Debatte der Zeitschrift Bildende Kunst um die von ihm sogenannten „Nicht-Realisten“ (Abstrakten), die von Olaf Wegewitz initiiert und von Andreas Hüneke in der Folgeausgabe weitergeführt wurde: „Wir sollten nicht aus lauter Angst, der Hauptweg gerate zu schmal, die Nebenwege planieren. (…) Mancher möchte auf breitem Wege schnell vorstoßen, mancher möchte auf verschlungenen Pfaden unverhoffte Schönheiten genießen, ein anderer wieder sich durch dorniges Gestrüpp kämpfen.“ Er sei dafür, so Hüneke, „dass die Nebenwege benutzt werden, ohne daß (sic!) sich jeder deshalb rechtfertigen muss.“
Sein Freund, der Künstler Olaf Wegewitz sieht ihn daher mehr als Kunstschriftsteller denn als Kunstkritiker, trugen seine Besprechungen, Rezensionen und Kritiken doch eine poetische, ja zuweilen lyrische Handschrift. Sicher war es der Dichter Christian Morgenstern, der ihn mit seinem Wortwitz bei genauester Kenntnis der unausweichlichen Realität beeindruckte und im Geiste zeitlebens bis ans Lebensende begleitete. Andreas Hüneke gehörte seit 2018 der Christian Morgenstern-Gesellschaft an und wirkte mit seiner Expertise auch am Aufbau der Sammlung und der Ausstellungsarbeit des Christian-Morgenstern-Literaturmuseums auf der Bismarckhöhe in Werder (Havel).
Eines der vielen Morgenstern-Gedichte, die Hüneke besonders mochte, war L’art pour l’art:
L’art pour L’art
Das Schwirren eines aufgeschreckten Sperlings
begeistert Korf zu einem Kunstgebilde,
das nur aus Blicken, Mienen und Geberden
besteht. Man kommt mit Apparaten,
es aufzunehmen; doch v. Korf ‚entsinnt sich
des Werks nicht mehr‘, entsinnt sich keines Werks mehr
anläßlich eines ‚aufgeregten Sperlings‘.
Es ist ein Glück, ihn persönlich kennenlernen zu dürfen und ihm begegnet zu sein. Denn nur mit dem Apparat des Schreibens gelingt es nicht ansatzweise, die Erinnerung an den Menschen und Kunstwissenschaftler Andreas Hüneke zur Genüge festzuhalten.