Die AICA Deutschland trauert um den Ausstellungsmacher und Kunstvermittler Kasper König und drückt seinen Angehörigen ihr Beileid aus.

Zugleich würdigt die AICA Deutschland die große Bedeutung Kasper Königs für die Kunstkritik.

Eine der historisch begründeten Funktionen der Kunstkritik ist es, das Urteil über Kunst und Bilder, über ihre Bedeutung und ihren Wert zu demokratisieren: sie im besten Sinn des Wortes zu popularisieren. Kunstkritik regt möglichst viele verschiedene Urteile und Ansichten an, die hierarchielos gleichberechtigt nebeneinander stehen.
In dieser Tradition wandte sich Kasper König gegen jede Akademisierung von Kunst und gegen einseitige Kanonisierungen durch den Kunstmarkt und ermunterte oder besser: verführte ein breites Publikum dazu, über Künstler:innen nachzudenken, deren Werke in Deutschland lange Zeit kaum als kanonisierbar galten.

In seiner multifunktionalen Rolle als Kurator, Leiter und Gründer von Institutionen, Lehrer und auch Akteur des Kunstmarktes erlangte er außergewöhnlich großen Einfluss auf die öffentliche Rezeption; blieb dabei streitbar und auch angreifbar. Das zeigte sich besonders in den letzten Jahren, als er zunehmend selbst als Vertreter des Kunst-Establishments wahrgenommen wurde.
Es schien, wie Catrin Lorch 2018 schrieb, als sei „die internationale Nachkriegs-Avantgarde eine Erfindung von Kasper König, dass er der damals noch unbehausten zeitgenössischen Kunst nicht einfach nur ein Dach gab, sondern eine ganze Architektur erfand und alle Blaupausen gleich mit.“

Kasper König selbst sah sich als Vermittler, als Türöffner für eine möglichst große Vielfalt an Positionen von Kunst und Publikum – auch dies eigentlich eine der traditionellen Aufgaben von Kunstkritik. Durch seinen Abschied wird deutlich, wie wichtig kritisch vermittelnde Stimmen wie die seinen sind, und wie sehr sie heute fehlen.

Zahlreiche Kunstkritikerinnen und Kunstkritiker verbinden mit Kasper König und seinem jahrzehntelangen Wirken persönliche Erinnerungen. Davon zeugen die vielen zuneigungsvollen Nachrufe, die nach seinem Tod erschienen sind.

Einen dieser Nachrufe, den unserer AICA-Kollegin Silke Hohmann für Monopol Online verfasste, veröffentlichen wir exemplarisch noch einmal:

Zum Tod von Kasper König
Der Komplize der Künstler

Er selbst hatte Autorität gegenüber oft eine eher belustigte Haltung, und gerade das machte Kasper König zur größten Autorität in der Kunst.

Als Kurator war er Komplize der Künstler und unbeirrbarer Ermöglicher ihrer Ideen, die er über alles stellte. Hinderliche Instanzen, die sich gegen dieses Möglichmachen wehrten, überzeugte er einfach dadurch, dass es immer viel interessanter und inspirierender war, auf der Seite von Kasper König zu sein, als auf der anderen. Dafür sorgte er in all den rund 60 Jahren seines Wirkens gewissenhaft, und es muss ihn ungeheure Energie gekostet haben, aber das hätte er sich niemals anmerken lassen.

Der 1943 in Mettingen geborene Kurator erreichte die ersten seiner zahlreichen Stationen und Spitzenpositionen ohne formale Qualifikationen, dafür mit großer Begeisterung für gute, neue Ideen. Als Gymnasiast ohne Abschluss ging er von einem Galeriejob bei Rudolf Zwirner in Essen aus in die USA, wurde Gastprofessor in Kanada, gründete die Skulptur Projekte Münster, lehrte in Düsseldorf und an der Städelschule in Frankfurt, wo er nur ein Jahr später Direktor wurde. Anschließend prägte er als Direktor des Museum Ludwig in Köln viele Jahre lang die deutsche Museumslandschaft und kuratierte die Manifesta in St. Petersburg.

„Und das ist interessant!“ war eine Formulierung, die Kasper König oft verwendete, wenn er etwas entdeckt hatte, wobei das nicht notwendigerweise Kunst sein musste. Es galt generell dem Originellen, noch nicht Dagewesenen, mit der guten Pointe. Dieses Interesse leitete ihn schon als jungen Mann zwangsläufig in die Kunstwelt: Als Jugendlicher sah er bei einem Ausflug nach Essen ein Plakat der Galerie Rudolf Zwirner, das Cy Twombly zeigte. Dass diese Kritzeleien Kunst sein konnten, fand er auch ohne kunsthistorische Vorbildung sofort interessant, und wurde Volontär bei Zwirner. Als Kriegsdienstverweigerer hätte er einen Ersatzdienst leisten müssen, brachte ihn jedoch nicht zuende und verließ Deutschland offiziell für zwölf Jahre. Zunächst ging er nach London, und mit 22 Jahren weiter nach New York, um sich „bei Künstlern nützlich zu machen“, wie er sagte. Für Claes Oldenburg leitete er das Atelier und knüpfte Kontakte nach Europa. Später lud er den Bildhauer zur ersten Ausgabe der alle zehn Jahre stattfindenden Großausstellung „Skulptur Projekte Münster“ ein, die er zusammen mit Klaus Bußmann 1977 ausrichtete. Die großen weißen Steinkugeln am Aasee waren erst ein lokaler Skandal, eine Verschandelung des Postkartenidylls, und wurden später erst zu einem Wahrzeichen seiner Stadt Münster, der König zwiespältig verbunden war und in der er als Jugendlicher mit frisiertem Moped die nationalistischen Studenten der schlagenden Verbindungen provoziert hatte.

1943 wurde er in Mettingen als fünftes Kind einer Fabrikantenfamilie geboren, mit zwei Brüdern und zwei Schwestern. In der Familie waren alle Rollen schon vergeben – die des Stammhalters, der die Firma Brillux erbt, die des Intellektuellen, der später die berühmte Buchhandlung und den Verlag mit seinem Namen, „Walther König“, gründen sollte. Die Engagierten waren die klugen, gesellschaftskritischen Töchter, die beide in die künstlerische Bildung gingen. So blieb nur noch „Kasper“ übrig, so nannte er sich selbst, und so nannten ihn auch seine Geschwister, mit denen er Schlagfertigkeit, Schnelligkeit und eine Art Schabernack übte, den er nie ganz ablegte. Dabei war das Schelmenhafte, das nicht von allen jederzeit als passend empfunden wurde, durch eine tadellose großbürgerliche Erziehung gedeckt. Hinter jedem Haken, den Kasper König den Konventionen schlug, stand die sehr ernsthafte Weigerung, jemals sich selbst oder alle anderen zu langweilen. Eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe, zu der auch die grundsätzliche Zuversicht gehört, dass am Ende wieder alle wieder an einem Tisch sitzen können.

Für das Moderna Museet in Stockholm, an das er Oldenburg zuvor vermittelt hatte, konnte König in den späten 1960er-Jahren von New York aus eine Andy-Warhol-Ausstellung kuratieren. Die heute legendäre Schau war extrem knapp budgetiert und kam ohne Leihgaben aus, alles musste dort produziert werden. Es war die Geburtsstunde der Warhol-Tapeten, und der Anfang seines Erfolgs in Europa, der sich von seiner Rezeption in den USA unterschied. (Das Ticket von New York nach Stockholm tauschte König ein und kam nicht zur Eröffnung, der Gegenwert waren drei oder vier weitere Monate in New York, die er zu großen Teilen im Kino verbrachte.)

Auch die beispiellose Karriere von Gerhard Richter ist eng mit Kasper König verknüpft: Richter selbst datiert seinen internationalen Durchbruch auf die Ausstellung „von hier aus“, die Kasper König 1984 in Düsseldorf realisierte. Als König Mitte der 1980er-Jahre erst Professor und dann Direktor in Frankfurt an der Städelschule wird, holt er Richter als Gastprofessor. Im von König gegründeten, an die Schule angegliederte Portikus stellt Richter 1989 erstmals seinen RAF-Zyklus aus, was sowohl Sympathisanten von Baader und Meinhof missfiel, als auch dem Verfassungsschutz. Plötzlich wollte die Stadt den Portikus nicht mehr finanzieren, und Richter stiftete ein Landschaftsbild für eine Benefiz-Versteigerung. Heute ist „18. Oktober 1977“ in der Sammlung des MoMA.

Für den großen japanischen Konzeptkünstler On Kawara, mit dem König befreundet war, bezahlte Kasper König die Briefmarken, damit er seine Mail-Art machen konnte. Er selbst kommunizierte andauernd per Postkarte, immer mit einem aktuellen Anlass oder Gedanken, und in unterhaltsam anarchischer Collagetechnik selbst gestaltet. Die versteckt liebevolle Art der Kontaktaufnahme forderte nie Erwiderung, aber ließ doch den Wunsch nach Austausch, Gegenseitigkeit und einer Vergewisserung erkennen, an dieser gemeinsamen Sache dran zu sein in einer ständig bedrohten, gegen alles Unfreie und Langweilige zu verteidigenden Welt namens Kunst.

Jetzt wurde bekannt, dass Kasper König im Alter von 80 Jahren in seiner Wahlheimat Berlin gestorben ist. „Die Kunst hat einen eigenen Zeitrhythmus, eine andere Dauer“, sagte Kasper König einmal in einem Interview. „Es kann tröstlich sein, sich mit ihr zu beschäftigen.“ Am heutigen Tag ist die Kunst selbst untröstlich.

 

Der Nachruf von Silke Hohmann wurde zuerst veröffentlicht auf Monopol online am 10. August 2024.
Den einleitenden Text im Namen der AICA Deutschland verfasste Carsten Probst.

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