Die Ausstellung „Die Bestie und ist der Souverän“ untersuchte auf unorthodoxe, nonkonformistische und multiperspektivische Weise Formen von Wirkungsmächten hegemonialer Macht anhand von vier hoch akuten Themenfeldern: Religion, Staat, Körper und Geld. (Ausführlicher: Das Heilige und der unangemessene Gebrauch des Heiligen, Ökonomien der Schuld und alternative Ökonomien, dissidente Körper, also widerständige Befragungen von Geschlecht, Unversehrtheit, Sexualität), die Thematisierung der modernen Institutionen in der Krise (ihre Kritik, Auflösung und Neubestimmung)

Dabei richtete die Ausstellung ihr Untersuchungsfeld geografisch weit verflochten, mit ungewöhnlichen künstlerischen Positionen und Entdeckungen und in dichten Werkgruppen aller Genres aus. Vertreten waren Künstler aller Generationen aus Chile, Venezuela, Sevilla, Barcelona, Mumbai, Turkmenistan, Zagreb und auch Deutschland.
Fragen zur Religion (und ihrem Missbrauch), den Flurschäden kapitalistischer Ökonomie, den Verstrickungen biologischer Forschung und dem Erbe kolonialer Machtverhältnisse wurden intensiv und durchweg anspruchsvoll behandelt.

Wer ist dieses ungewöhnliche Paar, die Bestie und der Souverän, zugleich gegenübergestellt und vereint, wie der Titel suggeriert. Das allegorische Figurenpaar des „Tieres“ und des „Souveräns“ entstammt den theoretischen Schriften von Jacques Derrida „Die Bestie und der Souverän“, dem ein Seminar des 2004 verstorbenen französischen Philosophen in den Jahren 2002 – 2003 vorausging (an der Pariser École des Hautes Études en Sciences Sociales), nicht zuletzt geschrieben unter dem Eindruck des 11. September.
Worum geht es in der Gegenüberstellung und Verknüpfung dieser Figuren des Politischen? Derrida stellt dem absoluten Herrscher, der ebenso über wie jenseits des Gesetzes steht, und sich gottgegebene Attribute zuschreibt, um Herrschaftsansprüche zu legitimieren, nicht allein den ohnmächtigen Menschen gegenüber, sondern ebenso die Figur des Tiers, der
Bestie, die das Gesetz nicht kennt und daher ebenso jenseits der Gesellschaft agiert.

Damit gelang den Kuratoren ein hochbrisanter verknüpfender Überbau, der die einzelnen Werke dennoch nicht zur illustrierenden Folie missbrauchte.
In der Ausstellung wurde zudem jegliche Form von Hierarchisierung vermieden, so z.B. mit der Inszenierung von Highlights oder der Hervorhebung spektakulärer Arbeiten.
Die Ausstellung verlangte, auch angesichts der Materialfülle, einen geduldigen und informationswilligen Zuschauer, der zahlreiche Entdeckungen machen konnte.
Darunter z.B. Eiko Grimbergs Fotocollagen, die dem alten Gerücht bzw. Märchen folgten, dass Trümmer des zerstörten Berliner Stadtschlosses im Ostberliner Tierpark Einzug fanden. Jan Peter Hammers Film „Tilikum“ folgt den rätselhaften Unfällen von Tiertrainern in einem Seaworld-Park und recherchierte über die bizarren Verflechtungen zwischen Themenparks, Institutionen der Unterhaltungsindustrie und militärischen Forschungsprojekten während des Kalten Krieges. Stefanos Tsivopoulos untersuchte Modelle alternativer, nicht-monetärer Tauschsysteme, die er mit einer Wandmontage vorstellte; nicht das einzige komplexe Wanddiagramm in der Ausstellung. Mehrere Arbeiten widmeten sich ökonomischen Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft, so wie dem Bau eines 40stöckigen Wolkenkratzers in Caracas, genannt der David-Turm, der nie vollendet wurde, nachdem das zuständige Finanzkonsortium in die Insolvenz ging. Das Gebäude wurde Jahre später von bedürftigen Personen in Selbstorganisation okkupiert und wird heute durch eine Wohnkooperative vertreten.

Der bei der Eröffnung (im Frühjahr des Jahres 2015) entstandene Eklat in Barcelona, der ersten Station der Ausstellung, der ein Streit um eine Skulptur von Ines Doujak: „Not Dressed for Conquering“, 2010) hervorging, und der eine Kette personeller Konsequenzen nach sich zog, die international diskutiert wurden, hat zudem weitreichende Fragen aufgeworfen, die zukünftig den Blick auf den Einfluss von Politik und Wirtschaft auf das Programm öffentlicher Kulturinstitutionen in Europa einfordern. Welche Rolle spielt dabei die zunehmende Kommerzialisierung und Unternehmensstruktur von Museen, Kunsthallen und Kunstvereinen? Muss die Kunst Rücksicht nehmen auf religiöse, sittliche und patriotische Gefühle? Die Geschichte der Kunst kennt zahlreiche Beispiele „politischer Unkorrektheit“, „künstlerischer Grenzüberschreitung“ und religiöser Sakrilege, die starre vorgegebene Grenzlinien in Frage gestellt haben. Die Linien scheinen heute wieder enger gezogen zu werden.

Wie und warum entstehen Zensur und inhärente Selbstzensur heute?
Welche Ausstellungen fehlen und werden gerade nicht gemacht?
Mit diesen Themen befragt die Ausstellung nicht zuletzt die Rolle der Kunstkritik.

Text: Sabine Maria Schmidt