2016: „Kader Attia. Sacrifice and Harmony“, Museum für Moderne Kunst MMK, Frankfurt am Main
Mit „Sacrifice and Harmony“ im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt, unter dem Kurator Klaus Görner, wird eine Ausstellung ausgezeichnet, bei der die Kunst mit eigener Kraft spricht, bei der ein komplexer Diskurs ohne übermäßige Versprachlichung im Material aufgehoben ist. Bei dem 1970 geborenen, algerisch-französischen Künstler Kader Attia handelt es sich um einen Künstler, der in großartiger Weise kulturelle Differenzen anspricht und deren soziale, psychologische und politische Implikationen aufzeigt, ohne für seinen ethischen Anspruch auf ästhetische Vergegenständlichung zu verzichten. Er schafft es, eher abstrakten Begriffen wie „Verletzung“ und „Erniedrigung“, „wachsende Gewalt“ und „Opfer“ eine unmittelbar evidente Form zu geben. Das kann unter anderem deshalb gelingen, da Kader Attia fest an die Metaphysik der Gegenstände glaubt, eine Wirkmacht, die viele sonst leider schon für verloren glauben. Und das MMK hat Attia dankenswerterweise den Raum gegeben, seine Wirkung zu entfalten, ja hat mit ihm zusammen neue Arbeiten entwickeln können – oder soll man sagen, dürfen?!
Und so geht man in die Ausstellung durch einen engen Gang unter dem Müll der überlegenen Klasse, sei diese politisch oder ökonomisch bestimmt – die Anregung dafür kommt aus dem Westjordanland… , aber auch ohne diese Information ist das Erlebnis der Deklassierung evident. Auf dem weiteren, vorgeschriebenen Parcours werden immer wieder Verletzung und Naht, Reparatur und Heilung thematisiert. Dabei wird in neuer Weise mit historischen und ethnologischen Artefakten umgegangen, auch werden Objekte mit jeweils umgekehrten Vorzeichen neu produziert. Wenn schon sechs Jahre Krieg und nur zwölf Jahre NS-Herrschaft derartige Traumata hinterlassen haben, wie ist es dann erst mit den Jahrhunderten der kolonialen Machtausübung – und zwar für beide Seiten, für Akteure und Duldende?!
Mit seinem speziellen Begriff von „Reparatur“ als einem allgemeinen Prinzip, das auch in der Evolution wirkt, andererseits aber über dessen französische Übersetzung Reparation auch „Wiedergutmachung“ meint, arbeitet Kader Attia gegen die nur auf glatte Oberflächen ausgerichtete Erneuerung und Rekonstruktion. (Gehört hier eigentlich nicht her, aber man denke auch an die nur vordergründig historische städtebauliche Rekonstruktionswut in Berlin, Dresden, Potsdam und eben auch Frankfurt…). Wiedergutmachung als restlose Erneuerung empfindet Kader Attia als Leugnung der Wunde, die ohne Bewusstwerdung der Verletzung das Trauma nur verlängert. Und so kommen die Besucher nach der Präsentation von Opfergesichtern, Zwillenbäumen und traditionellen Heilungsritualen zu einem Raum, in dem sich die Weltkugel als notdürftig zusammengeflicktes Etwas präsentiert. Verstörend, wahr und zutiefst human, denkt man an das Gegenteil, die vielen falschen Harmonie-Visionen, die ängstlich jeden Anschein von Zerstörung vermeiden wollen, sich aber in dem bruchlosen Wunsch nach neuer Größe immer wieder als zerstörerisch herausstellen. Denn in der politisch und religiös motivierten Weigerung, das Plurale und das immer Provisorische der Weltkonstitution zu akzeptieren, liegt der Keim zum paradoxen Versuch gewaltsamer Heilung, die dann mitunter tödlich endet. Dagegen anzuarbeiten ist allein schon jedes Lob für Künstler und Ausstellung wert.
Text: Hajo Schiff