2016: „Rochelle Feinstein. I made a terrible mistake“, Lenbachhaus, München
Juror:in: Catrin Lorch
Die letzten Tabus in der Kunst? Sex wird es nicht sein. Geld auch nicht, alles abgehakt. Aber so ein knapper Satz wie „Love Your Work“, den möchte man als Künstler nicht zitiert wissen. Weil es der kleinste Nenner ist, auf den Vernissagen-Gäste ihr Desinteresse bringen. Eine Grußformel, die übersetzt nicht mehr bedeutet als ein „Like“: „Kann nicht viel damit anfangen, findet auch sonst keiner wichtig, aber weil du aus irgendeinem Grund dazu gehörst, verderbe ich dir jetzt nicht die Party.“ Rochelle Feinstein hat den Satz aufgegriffen und jahrelang an der Bilder-Serie „Love Vibe“ gemalt. Sie ist eine, die viele Jahre auf genau diese Art dazugehört hat. 1947 in New York geboren, damit beginnt ihre Vita, die nicht eben viele Solo-Shows verzeichnet oder wenigstens Einladungen zu Gruppen-Ausstellungen.
Anerkannt war Feinstein nur, weil sie als Lehrerin in Yale Malerei und Drucktechnik lehrte. Viele ihrer ehemaligen Schüler schätzten sie sehr, aber nicht einmal sie konnten präzise ausdrücken, warum eigentlich. Klar, die „Flag“ war berüchtigt. 1993 hatte Feinstein ein schmuddeliges Küchentuch auf eine Leinwand geklebt und dessen Karo in krakeligen, grell-orangefarbenen Linien bis an die Ränder des Gemäldes verlängert ausgemalt. Klingt schräg? Mehr als das: Pure Anmaßung war das aus der Sicht der amerikanischen Kunsthistoriker. Wer in deren Kanon etwas zählen will, tut gut daran, sich mit respektvolleren Ansagen zum Thema abstrakter Expressionismus oder Pop Art hervorzutun, statt als unbekannte Malerin sich an eine Version der Ikone der amerikanischen Kunstgeschichte zu wagen, nämlich Jasper Johns „Flag“, einer exakten Kopie der US-Flagge aus den Fünfzigerjahren. Feinstein lässt nicht viel übrig vom Star-Spangled Banner, bestenfalls erinnert ihr Bild an einen schmuddeligen Mallappen, womöglich noch an unerledigte Hausarbeit.
Die Malerin legte noch nach, kleckerte weiße, hochglänzende Farbe auf eine Leinwand in kratzigem Graubraun und gab dem verlaufenden weißen Quadrat als Assoziation mit, dass es sie auch an ein geplatztes Kondom erinnere. Was klarmacht, dass Feinstein gar nicht vorhat, den feingeistigen Überlegungen noch viel hinzuzufügen, die Kasimir Malewitschs Quadrate und New Yorker Abstraktionen einst angestoßen haben. Und dass man auf einen Klecks aus ganz unterschiedlichen Perspektiven schauen kann – ein kollabiertes Präservativ bedeutet für die Frau etwas anderes als für den beteiligten Mann.
In den frühen Neunzigern gab es in den USA aber weder einen Markt noch einen Diskurs, in dem man die Ironie, die Finesse und die Doppelbödigkeit so eines Werks hätte schätzen können. In Europa, beispielsweise in Köln, hätte man das verstanden. Vorgebildet durch Sigmar Polkes Stoffe, sensibilisiert von Rosemarie Trockels Strickbildern und Herdplatten, hätte sich das Publikum sofort an den Tonfall Martin Kippenbergers erinnert gefühlt – spätestens die unbekümmerte Malerei der Jahrtausendwende hätte eine wie Rochelle Feinstein umarmt. Hätte. In New York dagegen: weiter malen im Atelier. Weiter unterrichten an der Akademie.
Ausgerechnet die Wirtschaftskrise im Jahr 2008 sollte für Feinstein alles verändern. Da konnte sie sich nur noch die halbe Lagerfläche leisten. Und unterzog alles, was dort angehäuft war, einer harten Bearbeitung. Schnitt Leinwände aus den Rahmen, bastelte neue Arbeiten daraus. Und lud – als sei sie schon tot – zu einer Ausstellung ihres eigenen Nachlasses in die On Stellar Rays Gallery ein. Mit einer zusammengestückelten Rest-Leinwand, einem Patchwork, auf dem mit großen Buchstaben der „Estate of Rochelle F.“ annonciert war.
Um zurück zum Tabu zu kommen: Mehr geht nicht. Man kann als Künstlerin eher thematisieren, wessen Kondom da gerade unter den Laken ausläuft, als zugeben, dass noch so viel Leinwand da ist; liegen geblieben, unverkauft, ungesehen. Die großen Sprechblasen ihrer Gemälde „Love Your Work“, die erinnern natürlich an Andy Warhols Comicbilder – aber als Pop-Ikone mit feinem Gehör hätte der nie, nie, nie darauf angespielt, dass auf Vernissagen die Produktion seiner Factory womöglich mit Redewendungen abgetan wird.
Der Mut dieser Jahre führte jedenfalls dazu, dass Rochelle Feinstein – endlich – gesehen wird, verstanden. Und dass sie doch noch als bedeutende Malerin gelten wird – zumindest in Europa. Denn am Münchner Lenbachhaus hat die Kuratorin Stephanie Weber ihr jetzt eine erste Museums-Retrospektive gehängt, die von da aus an die Kestner-Gesellschaft in Hannover reist. Die letzte Station ist die spannende, das Bronx-Museum hat Interesse angemeldet. New York wird sie zu lieben lernen.
Die Ausstellung dreimal umgehängt, immer wieder in München und Hannover, um noch andere Motive unterzubringen, die Räume wieder neu und anders zu bespielen. Der Mut der Kuratorin Stephanie Weber, eine Künstlerin auszuwählen, die vollkommen unbekannt ist in Europa und deren Karriere auch schon eher dem Ende zugeht, ist außergewöhnlich. Aber weil Rochelle Feinstein eben auch keine seit Jahrzehnten erfahrene Ausstellungsmacherin ist, weil es zumindest zu befürchten war, dass sie nicht vertraut ist mit der Präsentation und dem Umgang mit einem europäischen Museum an dieser Stelle als Kuratorin besonders gefordert – ein Wagnis, Stephanie Weber hat sich darauf eingelassen und so erst möglich gemacht, dass man das Werk in dieser Breite, aber auch so einer enormen Unbekümmertheit erleben konnte.
Im Atelier malt Rochelle Feinstein gerade an einer neuen Serie. Es sind meterhohe Monochromien, insgesamt fünf Stück, allesamt in Rosa. Von einem hellen Hautton bis zu sattem Beige und hellem Pink. Sie nennt sie spaßeshalber ihre Weise Serie. Weil sie Quadrate sind, geht da natürlich sofort einiges auf an Referenzen. Kein Maler malt ein monochromes Quadrat einfach so. Suprematismus, Ad Reinhardt, Roman Opalka, you name it. Außerdem sind sie gar nicht weiß. Rochelle Feinstein sagt, sie malt daran, weil die Hautfarbe weiß gerade so häufig erwähnt wird in den USA. Wo Donald Trump vor wenigen Tagen als 45. Präsident vereidigt wurde. Sie will sich ein Bild von dieser Farbe machen, die so bedeutend scheint. Sie sagt, wenn man die Maßstäbe Trumps anlegt, wer in die USA gehört und wer nicht, dann hat sie es beispielsweise in ihrer Klasse nicht mit vielen Weißen zu tun. Sondern mit Studenten, die allesamt irgendwie rausfallen. Es seien gerade mal drei straighte weiße Jungs, die sie unterrichtet. Viele ihrer Studenten seien schwul. Einer transgender, manche haben keinen amerikanischen Pass, einer nicht einmal eine Aufenthaltserlaubnis. Ich bitte sie, noch einmal eine genaue Aufstellung zu machen. Und sie liest sich so.
Included in the group of painters are: one Iraq War veteran (Af-Am), one transgender,
one mother of 3. The group’s gender identity ranges from fluid, gay, queer, straight. Hard to characterize
this with a metric, but can say all feel betrayed,are fearful and angry.
African-American – 5
First Nation – 1
White Male – 3
White Female -4
Iranian – 1 (student visa; wife is stuck in Teheran and can’t get visa to US)
New U.S Citizen (in October!) – `1
Undocumented – 1 (Colombian)
Rochelle Feinstein wird zur Verleihung des AICA-Preises nicht kommen können, auch wenn sie gerne dabei gewesen wäre. Sie ist in diesen Tagen beim Women’s Marches in Washington dabei.
Text: Catrin Lorch