2018: „Artur Jafa: A SERIES OF UTTERLYIMPROBABLE, YET EXTRAORDINARY RENDITIONS“, Julia Stoschek Collection, Berlin
Juror: Jörg Heiser
Die Auszeichnung „Besondere Ausstellung“ habe ich der Ausstellung von Arthur Jafa zugesprochen, die vom 11. Februar bis 11. Dezember 2018 in der Julia Stoschek Collection in Berlin zu sehen war. Es handelte sich um eine Übernahme aus der Serpentine Gallery in London. Der Titel der Ausstellung war „A SERIES OF UTTERLY IMPROBABLE, YET EXTRAORDINARY RENDITIONS“. Übersetzt etwa: eine Serie von gänzlich unwahrscheinlichen, jedoch außergewöhnlichen Darstellungen. Und dieser Titel versprach nicht zu viel.
Arthur Jafa, geboren 1960 in Tupelo, Mississippi (USA), ist ein in New York City lebender angesehener Filmemacher und Künstler. Zuerst Bekanntheit erlangte er als Chefkameramann für Filme wie Julie Dashs Daughters of the Dust von 1991 oder Spike Lees Crooklyn von 1994. Darüber hinaus arbeitete er als Kameramann unter anderem mit Stanley Kubrick für Eyes Wide Shut von 1999, Ava DuVernay für Selma, 2014, sowie an Videoclips von Beyoncé und deren Schwester Solange Knowles.
Jafas künstlerische Praxis hat sich parallel zu dieser Karriere in der Kinowelt entwickelt. Die Berliner Ausstellung des US-Amerikaners wirkte wie der vielleicht dringlichste und dabei gelungenste künstlerische Beitrag zur kulturellen und politischen Dramatik der gegenwärtigen Situation in den USA. Ohne platt zu kommentieren, öffnete Jafa tiefe Blicke in die Mechanismen und die vergifteten Zuschreibungsströme des Rassismus, wie er in sich im kollektiven Unbewussten der amerikanischen Mehrheitsbevölkerung manifestiert als widersprüchliche Mischung aus Neid, Begehren und Vernichtungsfantasie.
Dabei vermeidet der Künstler vorschnelle Aburteilungen oder bloße Meinungsbekundungen. Das kontaminierte „Material“ spricht selbst, aber auch die triumphalen Momente einer afroamerikanischen Pop-, Sub- und Widerstandskultur kommen zur Geltung, die von Traumatisierung handeln, aber eben auch von Souveränität und Eleganz, die dieser abgetrotzt sind.
In einer Collage-Technik, die sich in Bildern, Objekten und Videos niederschlägt, zeigt er die Stereotypien, die Gewalt und die Traumata und zugleich deren Transzendierung durch das Groteske, Erhabene und Schöne.
Teil der Ausstellung waren die Collagen-Kladden, die Jafa seit Jahrzehnten führt und in denen er gefundene Bilder sammelt, kontrastiert. Diese stellen ein zielsicheres Suchsystems dar nach jenen Bildern, die afroamerikanische Erfahrung an ihren Extremen aufsuchen und zugleich transzendieren. Hier zeigt sich eine gewissermaßen längst selbstverständlich gewordene Haltung des Afrofuturismus, einer Schwarze Science Fiction, die sich weder an den Grenzen zur so genannten „weißen“ Kultur aufhalten lässt, noch sich mit den Limitierungen von Macht und Ökonomie zufrieden gibt. Ihr geht es darum, für die afrikanische Diaspora in Folge jahrhundertelanger Sklaverei und Diskriminierung eine imaginäre galaktische und technologische Zukunftsperspektive zu eröffnen.
Diese Perspektive einer selbstbewussten Technologie der Bilder kulminierte in der in einem Kino-Raum gezeigten Videoarbeit APEX (2013), die zum minimalistisch-synkopischen Beat des Techno-Pioniers Robert Hood eine unablässige Folge von Standbildern zu einem Sog verknüpft, der Mickey Mouse und Iggy Pop, NASA-Bilder der Sonnenoberfläche und die bleckende Zahnreihe des Alien aus Ridley Scotts gleichnamigen Film zu einer zwingenden Folge verknüpft. Diese Abfolge sagt etwas aus über die Entfremdungs- und Traumatisierungserfahrung eines Künstlers, der als eines seiner Erweckungserlebnisse beschreibt, wie er als kleiner Junge von seinem Vater in Tupelo ins Autokino mitgenommen wurde, um die Premiere von 2001 – Odysee im Weltraum zu sehen. Das war 1968.
Kernstück der Ausstellung ist die in vier Projektionen aufgeteilte Videoarbeit Mix1-4_constantly evolving (2017), die Jafas unablässige, von der Faszination der Bilder angetriebene surreale Montage von Youtube- oder Instagram-Material zu einer Art Porträt des Amerikanischen Unbewussten im 21. Jahrhundert zuspitzt. Und dieses Unbewusste steht nach wie vor nicht zuletzt im Zeichen von Rassismus, Waffengewalt und von Warenwirtschaft gefütterter narzisstischer Leere. Dabei spielt auch immer Musik eine Schlüsselrolle. Sie ist bei Jafa, der auch ein versierter Theoretiker und Autor ist, eine Art Leitbild in dem Sinne, dass es ihm, wie er einmal gesagt hat, immer wieder um folgende Frage geht: „How do you make a Black cinema with the power, beauty, and alienation of Black music?“ Es geht ihm um die aufwühlende Kraft von John Coltrane und Nina Simone in Bildern. Wenn irgend jemand diesem Ideal auch nur entfernt nahe kommt, ist es vielleicht tatsächlich Jafa.
Der Ausstellung gelingt es mit dieser Kombination aus stillen Bildern und musikalischen Triggern aus Jazz bis Techno, uns gewissermaßen perzeptiv für das Übersehene oder schwer zu Ertragende zu öffnen und uns diesem zu stellen. Und dies gilt ausdrücklich auch für europäische, deutsche, weiße, nicht unmittelbar in den US-Verhältnissen lebende Betrachter. Die Mechanismen der Dämonisierung, Stigmatisierung oder Leugnung lassen sich ähnlich oder genauso auch hierzulande beobachten.
Lobend zu erwähnen bleibt noch, dass Jafa, gerade auch einem europäischen Publikum gegenüber, durch die Inkludierung von Arbeiten befreundeter Künstler wie Ming Smith, Frida Orupabo und Missylanyus eine Genealogie der – bislang sträflich ignorierten oder ghettoisierten – künstlerischen Beiträge im Zusammenhang afro-amerikanischer Kunst- und Kulturproduktion offenlegt.
Text: Jörg Heiser