Jury: Gerd Korinthenberg, Danièle Perrier, Uta M. Reindl, Ellen Wagner

Viel ist vor 2 Jahren gesprochen und geschrieben worden, als es galt, das 100. Gründungsjubiläum des Bauhauses zu feiern. Manches klang fast so, als ob der in Weimar und später hier in Dessau tätigen Kunstschule so etwas wie eine nationale, ja sogar international wirksame Entlastungsfunktion zukommen sollte – beim Blick auf das durch deutsche Schuld so blutige 20. Jahrhundert: Der Geist von Gropius, Mies oder Meyer gegen den Ungeist von Militarismus und Faschismus.

Doch so simpel liegen die Dinge nicht, wie uns eine kritische Geschichtswissenschaft lehrt: Auch das Bauhaus, auch manche seiner „Heroen“ – ebenso wie eine Reihe von Studierenden, waren nicht gegen die Versuchung des Totalitarismus imprägniert. Zugleich aber war das Bauhaus natürlich auch ein dem Geist der jungen Weimarer Republik entstammender „gedanklicher Vorgriff auf eine Welt der Freiheit, Demokratie und Internationalität“ – um aus der Jubiläumsansprache unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zu zitieren.

Der Blick hinter die Kulissen der stets politisch wie wirtschaftlich bedrohten kleinen Kunstschule lohnt also unbedingt. Und nirgendwo gelingt dies besser als eben hier in Dessau, hier in Ihrem Museum!

Das noch junge Bauhaus Museum überzeugte uns Kunstkritiker damit, dass es einerseits die Erinnerung an das Bauhaus als bedeutendste Schule für Gestaltung im 20. Jahrhundert wachhält. Andererseits wird hier aber auch die Idee des Bauhauses eindrucksvoll in die Gegenwart übertragen.

Während des 1976 begonnenen Aufbaus der Sammlung war der DDR, vor allem natürlich aus Devisenmangel, kein Ankauf ikonischer, kunsthistorisch schwergewichtiger Werke der Bauhaus-Meister auf dem internationalen Kunstmarkt möglich. Die heutige Ausstellungs-Konzeption rückt folgerichtig nicht die hinlänglich bekannten Inkunabeln aus Kunst und Formgebung, sondern die Lehr- und Lerntätigkeit in den Mittelpunkt. Die Präsentation betont kreative Prozesse anstelle eines hinlänglich zelebrierten Bauhaus-Mythos.

Man kann hier das gängige Wort gebrauchen: Aus der Not wurde eine Tugend gemacht. Immensen Anteil an diesem Konzept – ich erwähne dies aus persönlicher Erinnerung und Sympathie – hatten Gisela und Hans Peter Schulz, die mit ihrer Leipziger Galerie am Sachsenplatz das Thema Bauhaus zum Sammlungs- und Lebensschwerpunkt gemacht haben – stets natürlich unter den Vorbedingungen des Staatlichen Kunsthandels der DDR und durchaus von den damaligen Staatsorganen beargwöhnt. Die von den beiden Galeristen in der DDR erworbenen und in mehreren Katalogen publizierten Arbeiten oft vergessener Bauhaus-Studierender gehören zum Grundstock des heutigen Dessauer Museums.

Die Arbeiten, Entwürfe und Skizzen aus den Vorkursen, Klassen und Werkstätten geben den Blick frei auf das nicht spannungslose intellektuelle Innenleben der Hochschule und deren Ziel, nämlich einer „zeitgemäßen Entwicklung der Behausung“, um Walter Gropius zu zitieren.

Der Titel „Versuchsstätte Bauhaus – Die Sammlung“ als Name der von Regina Bittner, Dorothèe Brill und Wolfgang Thöner kuratieren musealen Dauerausstellung (mit dem Schwerpunkt der Dessauer Bauhaus-Jahre 1925 bis 1932) bringt dies deutlich auf den Punkt. Damit wird zugleich das nahe gelegene historische Bauhaus wieder „lebendig“, es wird sowohl vor der erstarrten „Monumentalisierung“ bewahrt als auch vor der Banalisierung als bloßer touristischer Hotspot.

Die mutige und heftig umstrittene Entscheidung, das Museumsgebäude nach einem preisgekrönten Entwurf von addenda architects aus Barcelona mitten ins Zentrum Dessaus auf eine gesichtslose Einkaufsstraße zu platzieren, stellt aus unserer Sicht eine geglückte kulturelle Wiederbelebung der City dieser im 2. Weltkrieg schwer zerbombten Industrie- und Residenzstadt dar, (der die Wucht der Zerstörung und der Verlust historischer Bausubstanz bis heute deutlich anzusehen ist.)

Der Bau, ein schwebender Riegel hinter gläserner Hülle (mit 3 500 Quadratmetern Nutzfläche), erscheint nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Ästhetik wie eine zeitgemäße Interpretation Gropius‘schen Bauens: Damals wie auch heute, ein knappes Jahrhundert später, musste der Entwurf einem engen Kostenrahmen Rechnung tragen.

Die in Ihrem Museum vorgestellten Kunstwerke, Möbel, Fotografien, Pläne und Dokumente werden regelmäßig von Sonder-Ausstellungen in der Ausstellung ergänzt: Diese Reihe „Zwischenspiel“ thematisiert – stets in Beziehung zur Sammlung – aktuelle und historische Beiträge aus Kunst, Architektur und Fotografie.

Die „Offene Bühne“ im Museums-Erdgeschoss ergänzt die Bühne im historischen Bauhaus-Gebäude: Dieses Projekt ist – neben den erwähnten Sonder-Ausstellungen – ein weiterer wichtiger Baustein der starken Verbindung klassisch-moderner mit der heutigen Kunst, die das Bauhaus Museum Dessau so besonders macht.

Für uns Kritiker vorbildlich ist ebenso die museale Präsentation der Ergebnisse wissenschaftlicher Bauhaus-Forschungen zur Architektur, zu Design oder Typografie. Hier ist Initiator die Bauhaus-Stiftung, die unter anderem die Rezeption des Bauhauses in der DDR dokumentiert, (Bauforschung betreibt) sowie internationale Künstlerinnen und Künstler zur Residenz in das wiederhergestellte Meisterhaus Gropius einlädt.

Die Reihe der Museums-Publikationen, darunter der ansprechende Sammlungs-Katalog, wird von einem attraktiven, breit gefächerten Angebot auf der Webseite ergänzt – das hatte und hat seinen besonderen Wert während der Pandemie. Auch die Serie „Aus der Vitrine – digital“ war ein informatives Angebot für alle Bauhaus-Interessierte während der langen Corona-Schließung.

Man kann den heute (4.12.1926) vor genau 95 Jahren eröffneten, historischen Gropius-Bau als das größte unter den über 1 000 Ausstellungsstücken dieses Museums bezeichnen. Und es ist sicher das wichtigste und auch das lehrreichste.

Wenn ich hier abschließend meine persönliche Sicht äußern darf: Das Bauwerk von 1926 zeigt die ästhetische Vollkommenheit seiner Architektur erst, wenn man es – möglichst mehrfach – umrundet und jedes einzelne Detail aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.

Es ist damit – so meine ich – die Verkörperung dessen, was den eigentlichen Sinn von „Bauhaus“ ausmacht (an dem junge Männer und Frauen aus fast 30 Nationen studiert haben):

„Bauhaus“, das bedeutet, mit Mut, mit Neugierde und mit Offenheit auf unsere plurale, vielgestaltige und manchmal auch sehr widersprüchliche Wirklichkeit zuzugehen.

Dies ist eine warnende Aufforderung zu Toleranz und Liberalität aus der gescheiterten Republik von Weimar; eine Botschaft, die – angesichts von Hetze und Demagogie, von Antisemitismus und Nationalismus in den sogenannt „sozialen Medien“, auf den Straßen und auch in vielen Parlamenten unserer Republik – leider nichts von ihrer Dringlichkeit eingebüßt hat.

Text: Gerd Korinthenberg

Gerd Korinthenberg,