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2014

Zum Tod von Wieland Schmied

Der Universalgelehrte

Man muss eine Entscheidung treffen, wenn man in das vielfältige Lebenswerk von Wieland Schmied einsteigen will. Wir entscheiden uns diesmal für die grundlegenden Arbeiten zum Surrealismus, zur Malerei des Magischen Realismus und zur Neuen Sachlichkeit, mit denen Schmied in den Siebzigern eine Neubewertung der von der Nachkriegsmoderne verachteten gegenständlichen Malerei der zwanziger Jahre eingeleitet hat. Ein intimes Verständnis für die Neben-, Sonder-, Um- und Irrwege der im Gegenständlichen sich bewegenden modernen Phantasien hat sich in diesen Epochen-Darstellungen angekündigt. Aber auch die vielen Monografien, die folgen sollten, die inspirierten Darstellungen von Individualisten wie Oelze, Kubin, Hundertwasser, Klimt, Duchamp, Bacon, de Chirico, Dalí oder Hopper, sind den extrem unterschiedlich funktionierenden Kreationssystemen dieser Künstler auf magisch intuitive Weise gerecht geworden. Später ist Schmied seiner Neigung zur Literatur, die im literarisch geprägten Elternhaus gefördert worden sein dürfte, immer häufiger gefolgt; so hat er beispielsweise über Ezra Pound, über Thomas Bernhard und H. C. Artmann, seine Freunde, mehrere Bücher verfasst.

Wie im Leben musste sich Wieland Schmied auch beruflich immer wieder zwischen Deutschland und Österreich hin- und herbewegen. Er wurde 1929 in Frankfurt am Main geboren, ist aber schon früh mit seinen Eltern nach Wien umgezogen, wo er später dann auch Rechtswissenschaften und Kunstgeschichte studiert hat. Beruflich verschlug es ihn freilich bald zurück nach Deutschland: 1960 wurde er Lektor im Insel-Verlag in Frankfurt; und dort fing er auch an, Kunstkritiken zu veröffentlichen – in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung . Später hat er dann auch das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung immer wieder mit einem seiner säuberlich von Hand geschriebenen, wunderbar verständlichen Texte, in denen er aktuelle Kunstthemen behandelte, beglückt.

Von 1963 bis 1973 ist Schmied Direktor der Kestner-Gesellschaft in Hannover gewesen. In dieser Funktion hat er zahlreiche Ausstellungen organisiert und Katalogtexte verfasst. Die gloriosen Jahrzehnte, in denen die Kestner-Gesellschaft die deutsche Öffentlichkeit mit einer Fülle anregender Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst und zur klassischen Moderne bereichert hat, sind also von Schmied eröffnet worden. Die nächste Zwischenstation war dann Berlin, wo Schmied Direktor des DAAD war und als Kustos an der Nationalgalerie die große Überblicksschau „Malerei nach 1945 in Deutschland, Österreich und der Schweiz“ konzipierte.

In München konnte Schmied dann als Professor für Kunstgeschichte und als Präsident der beiden den Künsten gewidmeten Akademien sein fabelhaftes Spezialwissen und seine Fähigkeit, hochkomplexe Themen in staunenswerter Leichtigkeit verständlich zu machen, in zahlreichen Vorträgen und Veranstaltungen einem dankbaren Publikum nahebringen. Wer in Erinnerung hat, mit welch liebevoller Kennerschaft Schmied vor zwei Jahren im BR die Matthäuspassion von Bach analysierte, der wird es bitterlich bedauern, dass diese Stimme verstummt ist. Am Dienstag ist Wieland Schmied in seiner oberösterreichischen Wahlheimat verstorben.

Wieland Schmied, 1929 geboren, hat sich als Historiker, Ausstellungsmacher, Kritiker vielfältig mit den Künsten beschäftigt. „Lust am Widerspruch“ hieß 2009 sein Erinnerungsbuch.

Gottfried Knapp, Der Artikel ist am 24.4.2014 in der Süddeutschen Zeitung erschienen. Die AICA dankt Gottfried Knapp für die Erlaubnis, ihn hier nochmals zu verwenden.

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