1997

Rainer Hoeynck: Eine Stimme der Stadt.

Eine Stimme der Stadt. Der Kulturjournalist Rainer Hoeynck feiert seinen 70. Geburtstag.

RIAS? Ferne Erinnerung. RIAS-Kulturprogramm? Noch ferner; zudem vom Sender selbst schon kleingestaucht, ehe mit der deutschen Wiedervereinigung die Grundlage für den RIAS überhaupt entfiel. Das war damals, vor neun Jahren, der Anlass für Rainer Hoeynck, nach exakt einem Vierteljahrhundert als Leiter des Ressorts Kulturpolitik und -kritik von der Möglichkeit des vorzeitigen Ruhestandes Gebrauch zu machen.

Ruhestand hieß natürlich nicht Ruheamt. Rainer Hoeynck machte aktiv dort weiter, wo er beobachtend-begleitend aufgehört hatte: in der Kulturpolitik. In der Nachfolge von Ulrich Roloff-Momin, der zum Kultursenator berufen wurde, übernahm er das Amt des Präsidenten der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst, des "linken" der Berliner Kunstvereine. Unübersehbar ist Hoeynck darüber hinaus bei allen Veranstaltungen und Kolloquien, die sich mit dem Umgang mit der Nazi-Zeit und dem Gedenken an den Holocaust befassen. Mehr als je zuvor ist der 1927 in Berlin geborene Hoeynck eine öffentliche Figur. Dementsprechend feiert er seinen 70. Geburtstag, den er heute begeht, in Großem Kreise und an einem Ort der Gegenwartskultur.

Das Bedauern war heftig, als der langjährige Rundfunkmann seinen Platz im Sender aufgab. Unzählige Gäste hatte er in seinen Gesprächsrunden befragt, zu Meinungsäußerungen animiert, vor unbedachten Äußerungen bewahrt - eben: moderiert; immer und in jeder Situation das richtige Wort gefunden, ohne darum jemals seinen eigenen, wohlbegründeten Standpunkt verleugnen zu müssen. Seither ist er frei von den Beschränkungen des Moderators, und wenn er sich - in Fachzeitschriften und Büchern beispielsweise - äußert, so mit einer Entschiedenheit und einem Engagement, die jeden Gedanken an altersbedingtes Lavieren Lügen strafen. Nach Soldatenzeit und Kriegsgefangenschaft war er gewissermaßen ad hoc zum Journalistenberuf gekommen: im November 1945 war er einer der beiden ersten Volontäre beim frischbegründeten Tagesspiegel, und 1948 ging er bereits zum RIAS, wo er ueber Jahre dem Reporterteam angehörte, das den Leuten buchstäblich das Mikrofon unter die Nase hielt. "Für Funkreporter gibt es keine Spezialausbildung", - heißt es in einem Zeitungsporträt über Hoeynck aus dem Jahre 1954, als seine Stimme in der Stadt bereits bestens bekannt war - "sie werden ins Wasser geworfen und müssen schwimmen. Wer das kann, bleibt."

Hoeynck konnte; ob als Reporter, Moderator oder als Kritiker, der insbesondere die Kunst- und Museumsszene durchleuchtet, und über allem natürlich: als Kommentator. Wenn überhaupt, wird Rainer Hoeynck heute vielleicht nur eines bedauern: nicht irgendwann ganz in die Berliner Kulturpolitik gewechselt zu sein, deren wechselvollen Verlauf er mit dem Herzblut dessen begleitet, der an Kunst und Kultur hängt - Antreiber eher denn Beobachter.

Bernard Schulz
Tagesspiegel, August 1997


Rainer Hoeynck Foto Stefanie Endlich

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