2014 Pierre Huyghe, Ludwig Museum Köln

Ausstellung des Jahres 2014

Pierre Huyghe, Ludwig Museum, Köln

Die Ausstellung Pierre Huyghe im Museum Ludwig, Köln (11. April bis 13. Juli 2014) zeigte pointiert das medial facettenreiche Œuvre des französischen Künstlers Pierre Huyghe (*1962 Paris) aus den letzten zwanzig Jahren, ohne den inhaltlichen Zusammenhalt der jeweiligen Schaffensperiode aus den Augen zu verlieren. Dabei eröffnet sich dem Besucher die Soloshow auf poetische Weise selbst als hermetisches, aber dynamisches System, indem sich Ausstellungsdisplay und singuläres Werk mit den musealen Räumen verbinden.

„Was sein könnte“

Diese Überlegung markiert den Anfangspunkt der Kunstbetrachtung von Pierre Huyghe. Die daran gekoppelten Möglichkeiten, die bei der visuellen Umsetzung beginnen, außerdem räumliche, zeitliche sowie objektbezogene Veränderungen meinen, implizieren Aspekte von Grenzenlosigkeit und Kontrollverlust als wohl wichtigste Komponenten.

Dabei können die lebenden Organismen, die der Franzose in seine Kunst integriert, als sinnbildlich für Huyghes Kunst verstanden werden: Sie entwickeln sich unabhängig vom Menschen und sind durch ihren steten evolutionären Optimierungsprozess in der Anpassung an ihre Umwelt gekennzeichnet. So veranschaulicht ein Einzelexponat wie Zoodram 4, 2011 die komplexe Verflechtung des Werkkonzepts als bewusste künstlerische Ausgestaltung der Umgebung und der eigendynamischen Entwicklung des in ihm befindlichen Ökosystems. Angelegt als Aquarium, wird die Unterwasserlandschaft vom Kopf einer Schlafenden geziert, der Constantin Brancusis La Muse endormie nachempfunden ist und wiederum einem Einsiedlerkrebs als Heimat dient. Durch diese Okkupation wird die Skulptur von dem Krustentier aktiv integriert und dessen Positionierung fortan durch seine Bewegung definiert. Das Medium Wasser und die Verweildauer darin bestimmen hingegen die organische Patina des Objektes. So besitzen Huyghes Zoodram(en) die Qualität einer künstlerischen Fortführung, deren Rhythmus die Gestaltung des Werkes anstelle des Künstlers übernimmt.

Huyghes Auseinandersetzung mit Ausstellungen als prozessualer Akt spiegelt sich u.a. in der Präsentation einer schwarzen Eisfläche (L’Expédition scintillante, Act III, 2002), die als eigenständiges Werk funktioniert, das bei 21°C Raumtemperatur sukzessive seinen Aggregatszustand verändert. Als bewusste Weiterentwicklung angelegt, verzichtet der Künstler anders als im Centre Pompidou auf den performativen Akt einer Eiskunstläuferin, um durch ihre Bewegungen die Oberfläche zu transformieren und überlässt stattdessen Zeit und Temperatur die Ausgestaltung derselben.

Mit dieser Retrospektive thematisiert das Museum Ludwig implizit die kontrollierte Perfektion, die üblicherweise eine Ausstellungsplanung prägt und feiert stattdessen in einer präzisen und aufwendigen Umsetzung das bewusste Loslassen. Der Ausstellungsrundgang wird durch die Dynamik des Augenblicks geprägt – spätestens wenn der bereits durch die documenta zu Berühmtheit gelangte Hund mit einem pink gefärbten Bein auftaucht. Begegnet man ihm, verhält man sich zu ihm, weiß man von seiner Existenz, hält man Ausschau. So reflektiert die Retrospektive die Kraft bestimmter ökologischer und organischer Prozesse, die das besondere Interesse des Künstlers kennzeichnen und sich dem Betrachter auf stringente, dennoch letztlich unkontrollierbare Weise erschließen.

Mit der Auswahl als Ausstellung des Jahres 2014 honoriert die AICA die kritische Reflexion von aktuellen Kunstsystemen und ihre Offenheit gegenüber neuen, außergewöhnlichen Kunst- und Ausstellungsformaten.

Nadia Ismail


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